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Bericht über die IASA-Jahrestagung 2007

09. und 10. November 2007 in Bremen

Programm

Zur Jahrestagung 2007 der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. in Bremen konnten Vorstand und Gastgeber vor Ort 44 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen. Auf Einladung des in der Hochschule für Künste beheimateten Klaus-Kuhnke-Archivs für Populäre Musik gGmbH wurde an beiden Tagen ein spannendes Programm mit stimmiger Umrahmung in perfekter Organisation geboten. Hierfür ist dem Geschäftsführer Ulrich Duve und dem gesamten Team des Archivs und der Hochschule dieser ebenso gemütlichen wie weltoffenen Stadt herzlich zu danken. Begleitet wurde die Tagung von der örtlichen Presse und einer Ausstellung der Bremer Firma Cube-Tec unter Anwesenheit ihres Firmenchefs Jörg Houpert.

Prof. Dr. Manfred Cordes, Rektor der Hochschule für Künste, ließ es sich nicht nehmen, ein kurzes Grußwort an die Tagungsteilnehmer zu richten und der Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf zu wünschen. Ulrich Duve hieß die Anwesenden im Namen des Klaus-Kuhnke-Archivs willkommen. Dr. Michael Crone, Vorsitzender der IASA-Ländergruppe, dankte für die Gastfreundschaft, wies auf Bremen als Stadt, „die immer etwas zu bieten″ habe hin und stellte die außerordentliche Arbeit des Klaus-Kuhnke-Archivs auf dem weniger im Fokus stehenden Gebiet der populären Musik besonders heraus. Pio Pellizzari überbrachte als Vizepräsident der internationalen IASA die Grüße des Executive Board an „eine der aktivsten, wenn nicht die aktivste Regionalgruppe der IASA″.

Im ersten Themenblock dieser Tagung stand das Klaus-Kuhnke-Archiv selbst im Mittelpunkt. Peter Schulze, Mitbegründer und Gesellschafter des Archivs und weit über die Grenzen Bremens hinaus bekannter Musikredakteur und Förderer populärer Musik, vermittelte spannende und sehr persönliche Einblicke in die Geschichte des Instituts und nahm sich ausführlich Zeit, um die zahlreichen Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Das Archiv wurde 1975 als Ergebnis der von Radio Bremen ausgestrahlten Sendereihe „Roll over Beethoven – Die Geschichte der populären Musik″ von Klaus Kuhnke, Manfred Miller und ihm mit etwa 20.000 Vinyl-LPs aus den eigenen Sammlungen ins Leben gerufen. Die Schaffung des Archivs begriffen die drei Gründer damals als „praktische Kritik″ am Archivierungsverhalten der Rundfunkanstalten (fast nur Tonbandumschnitte, keine Psychedelic, kaum Jazz), an der die populäre Musik und Tonträger überhaupt ignorierenden Musikwissenschaft und schließlich an der am Archivieren desinteressierten Musikindustrie.

Ulrich Duve stellte im Anschluss exemplarisch drei bedeutende, dem Klaus-Kuhnke-Archiv übergebene Nachlässe vor: Die Jazzsammlung des 1911 geborenen und bei Radio Bremen tätigen Volkskundlers Ingolf Wachler war Fundus für unter US-Aufsicht ab 1946 ausgestrahlte Programme, die noch nicht das Etikett „Jazz″ trugen, „um die deutschen Hörer mit dieser für sie noch ungewohnten Bezeichnung nicht zu erschrecken″. Vor etwa zehn Jahren kam eine 7.000 Platten umfassende Sammlung mit Musik der 60er und 70er Jahre und allen bedeutenden, teils auch äußerst raren Aufnahmen der Schwerpunkte British Blues, Beat, Psychedelic, Progressive Rock und Krautrock nach Bremen. Am Beispiel einer „per Auto abgeladenen Sammlung″ unterschiedlichster Tonträger mit größtenteils unbekannten Importen afrikanischer Interpreten verdeutlichte Duve, mit welchen dokumentarischen Schwierigkeiten die Mitarbeiter des Archivs konfrontiert werden. Mit einer beeindruckenden Führung durch die Schatzkammern des Archivs rundeten André Feldhaus und Ulrich Duve den Vormittag ab.

Der Nachmittag gehörte zunächst einer hochkarätigen, von Jochen Rupp exzellent vorbereiteten und moderierten Expertenrunde zum Thema „Die Unverwüstliche – Wird die Vinylplatte die CD überleben?″. Frank M. Bischoff, Leiter der Archivschule Marburg, Matthias Böde, Chefredakteur der Zeitschrift STEREO, Joachim Hack und Ingo Kolasa vom Deutschen Musikarchiv Berlin und Friedrich Thein, Chef der gleichnamigen Bremer Studios, beleuchteten eine Vielzahl von Aspekten im „Wettstreit″ von Vinylplatte und Digital Audio-CD. Von den gesetzlichen und ethischen Grundlagen der Aufbewahrung des Audio-Kulturerbes (etwa Artikel 11 der UNESCO-Charta zur Bewahrung des digitalen Kulturerbes), über mangelndes Qualitätsbewusstsein im CD-Produktionsprozess und allenthalben in Erscheinung tretende Zerstörungsphänomene des doch „auf Dauer″ zu bewahrenden Trägers („Sternenhimmel-CD″) reichte die Bandbreite der Thematik bis zur Obsoleszenz der Hardware und den damit einhergehenden Fragen der Formatmigration. Angesichts der langen Liste von Unzulänglichkeiten der digitalen Audiowelt hatte Jochen Rupp neben der Empfehlung zur Rückbesinnung auf hochqualitative Analogtechnik noch eine Überraschung mitgebracht: Eine abspielbare Analogplatte aus Zartbitterschokolade (Schokosingle) mit Trude Herrs bekanntestem Lied – die allerdings, dem Plenum vom Moderator nach dem Abspielen in kleinen Häppchen angeboten, das Ende der Diskussion nicht mehr erleben sollte.

Gehobene Schätze – Initiativen zur (Wieder-) Veröffentlichung in Vergessenheit geratener Popularmusik standen im Mittelpunkt der Vorträge zweier herausragender Persönlichkeiten auf diesem Gebiet. Richard Weize, legendärer Labelgründer, stellte die Tonträger-Editionen von Bear Family Records vor. Neben seiner mit diversen Anekdoten gewürzten Lebensgeschichte erfuhren die Zuhörer die wesentlichen Beweggründe seiner Editionsarbeit: „Was ist historisch wichtig? Was macht mir Spaß?″ Hinzu kommt ein für Weize „selbstverständlicher Qualitätsanspruch“. Dabei werfen auch gelegentliche kommerzielle Flops (wie die „Lili-Marleen-Box″ mit 192 verschiedenen Versionen des bekannten Liedes) Richard Weize nicht aus seiner Bahn. Er geht seinen eigenen Weg, wagt sich immer wieder an Neues und verwirklicht jetzt sein erstes Download-Projekt – noch dazu mit „Musik, die ich nicht so mag″.

Im Anschluss gab der laut Wikipedia „zu den Urvätern der deutschen Independent-Szene“ gehörende Plattenproduzent, Coverkünstler und Webdesigner (Guano Apes) Friedel Muders in seinem Referat Vor dem Vergessen ins Web spannende Einblicke in das Geschäft der Musikdistribution und speziell in die Verteilwege und Online-Auswertung in Download Shops. Muders startete das von ihm 1984 gegründete Plattenlabel Fuego im Jahr 2004 neu, jetzt als reines Online-Label. Bisher wurden rund 400 Produktionen veröffentlicht. Muders schilderte die Schwierigkeiten, sich auf einem Markt zu behaupten, der von Giganten wie iTunes beherrscht wird und dabei ein gerechtes Abrechnungsverfahren zwischen Künstler und Label umzusetzen. Ein besonderes Anliegen ist Muders die Mitwirkung im EU-Projekt DISMARC (Discovering Music Archives), worin seit Herbst 2006 Musikarchive europäischer Rundfunkanstalten, Museen und anderer wissenschaftlicher Institutionen gemeinsam mit privaten Sammlern ihre Kataloge in einer gemeinsamen Datenbank online recherchierbar und damit „Europas Musikschätze″ für die Öffentlichkeit zugänglich machen.

Die von Reinhard Otto moderierte Podiumsdiskussion Übernahme von Nachlässen und ihre Problematik rundete den ersten Tag ab. Otto verlas zum Einstieg wesentliche Passagen einer von Gert Fischer, dem Geschäftsführer des Otto-Ackermann-Archivs, verfassten und für das Thema exemplarische „Denkschrift″. Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass die Übernahme und besonders die weitere Nutzung eines Nachlasses von der Qualität seiner Katalogisierung bzw. Erschließung abhängig ist. Ingo Kolasa wies in seinem Statement zudem auf die hohen gutachterlichen Hürden hin, die vor der Übernahme großer und damit meist teurer Sammlungen durch das Deutsche Musikarchiv genommen werden müssen. Anke Leenings stellte fest, dass etwa Rundfunkprivatmitschnitten häufig die nötige Sendequalität fehle und bei Industrietonträgern das Vorhandensein des Senderechts vorrangig sei. Peter Brand schlug die Bereitstellung eines Leitfadens zur Registrierung und Erschließung von Sammlungen vor, der Sammlern auf unserer Website eine gute Hilfestellung geben könnte. Bei der Entscheidung, wohin die eigenen Schätze gehen sollen, könnte auch eine detailliertere Darstellung der Ländergruppenmitglieder auf der Website dienlich sein. Rainer Lotz bedauerte die geringe Wertschätzung von Tonträgern im Kulturbetrieb und das Fehlen einer „Stiftungskultur″ wie etwa in den USA. Seine etwa 50.000 Schellackplatten umfassende und einen Wert von einer bis zwei Millionen Euro repräsentierende Kollektion liegt damit als „Ganzstück″ für Institutionen wie das DMA außerhalb der finanziellen Möglichkeiten.

Zu Beginn der nachfolgenden Diskussion konstatierte Reinhard Otto große Höhenunterschiede der „Schwelle der Benutzbarkeit″ auf Grund personeller, materieller und gesetzlicher Rahmenbedingungen, etwa im Vergleich zwischen Klaus-Kuhnke-Archiv und Deutschem Rundfunkarchiv. Ingo Kolasa benannte zudem eine Reihe praktischer Problemstellungen, die den Zugang zu einer Sammlung erschweren können, u. a. die Platzfrage bei einer Aufstellung „im Sammlersinne″, fehlende Angaben zur Sammlungsherkunft oder den persönlichen Vorstellungen des Sammlers, unterschiedliche bzw. nicht konsistente Signaturen und schließlich das in der aufnehmenden Institution bestehende Prinzip „Digitalisierung vor Nutzung″.

Anke Leenings warf die Frage auf, was eine „Sammlung als solche″ charakterisiere und ob es hierfür objektive Kriterien gebe. Herfrid Kier bezeichnete die persönliche Tonträgersammlung (ähnlich der eigenen Bibliothek) als eher zufällige, den eigenen Vorlieben folgende „Ansammlung″, deren Glanzstücke lieber aufgeteilt und verschenkt werden sollten, anstatt „auf dem Müll zu landen″, weil sich für den Gesamtnachlass kein Abnehmer findet. Pio Pellizzari erläuterte die herrschende Praxis der Schweizer Nationalphonothek, Sammlungen nur als Schenkung anzunehmen. Für ihn gibt es zwei Fallgruppen: Im ersten Fall werden die „Highlights″ entnommen und die Sammlung somit auseinander gerissen. Im zweiten Fall, wozu Pellizzari ausdrücklich ermunterte, hat sie eine „Kontextualisierung durch den Sammler″ erfahren, besitzt eine nachvollziehbare eigene Historie und wird so zu einem Stück Kulturgeschichte. Auch Christiane Hofer argumentierte, der Sammler müsse dazu angeregt werden, „für ein geeignetes Vererben vorzusorgen″. Anke Leenings sah eine Sammlungsübernahme als akzeptabel an, wenn die genannten Rahmenbedingungen stimmten und stellte abschließend fest, dass der Wert für die Benutzung einer Sammlung umso höher sei, „je besser ihr dokumentarischer Zustand ist″.Als Fazit aus dieser Runde wurde deutlich, dass wohl zwangsläufig der „Schwarze Peter″ beim Sammlungsgeber bleibt, der letztendlich bei Lebzeiten und allein entscheiden muss, was er der Nachwelt überliefern möchte und in welcher Weise er dies tut.

Die Abendgestaltung wurde vom Klaus-Kuhnke-Archiv organisiert und gesponsort. Auf dem ungewöhnlichen Betonschiff „MS Treue″ konnten die Tagungsteilnehmer bei Live-Jazz eines Absolvententrios der Musikhochschule Bremen und deftigem „Grünkohl und Pinkel″ die Eindrücke des Tages diskutieren oder ganz einfach in angenehmer Atmosphäre entspannen.

Am Samstagmorgen eröffnete die Mitgliederversammlung den zweiten Teil der Tagung. Höhepunkt war sicher die mit überwältigender Mehrheit getroffene Entscheidung, die Einladung unserer österreichischen IASA-Partner Medien Archive Austria zur ersten gemeinsamen Herbsttagung 2008 in Wien anzunehmen.

Anschließend moderierte Ulrich Duve den Schwerpunkt „Jazz in Deutschland″. Zunächst stellte Doris Schröder das Jazzinstitut Darmstadt und die Ausstellung „Deutscher Jazz – German Jazz″ vor. Das 1990 aus der Taufe gehobene Institut versteht sich als „internationales Forschungs- und Informationszentrum″ und besitzt eine der bedeutendsten öffentlichen Jazzsammlungen in Europa, deren Fundament die 1983 erworbene Sammlung des großen Jazzproduzenten und Kritikers Joachim-Ernst Berendt darstellt. Neben dem als weltweit einziger regelmäßiger Jazzkonferenz - alle zwei Jahre stattfindenden Darmstädter Jazzforum sind vielfältige Hausaustellungen wesentlicher Bestandteil der Arbeit des Jazzinstituts. Eine besondere Herausforderung war der im Jahre 2005 vom Münchener Goethe-Institut geäußerte Wunsch, „die Geschichte und den momentanen Stand des Jazz in Deutschland″ als Tourneeausstellung zu konzipieren. Fünf Jahre lang ist die auf der Bremer Jazzmesse jazzahead! 2006 erstmals vorgestellte Ausstellung in den Goethe-Instituten der Welt zusehen. Auf 15 großformatigen, transportablen Informationstafeln mit Haupt- und vertiefenden Informationen wird, begleitet vom Ausstellungskatalog und den dazugehörigen Musikbeispielen, die Entwicklung von den Anfängen in den 1920er Jahren bis in die jüngste Gegenwart der deutschen Jazzmusik eindrucksvoll präsentiert.

Peter Schulze, Mitbegründer des Klaus-Kuhnke-Archivs, plädierte danach in seinem äußerst lebendigen Vortrag heraus aus der Defensive für „öffentlich-rechtliche Musikproduktion am Beispiel der Jazz-Aufnahmen von Radio Bremen″. In sehr persönlichen Farben brachte Schulze seine Erfahrungen aus über 30 Jahren als Jazz-Redakteur bei Radio Bremen dem Publikum näher und sparte dabei nicht mit kritischen Anmerkungen. So war in seinen Augen etwa „die rundfunktypische Musik der Anfänge musikalischer Dünnfluss, in große Orchester gegossen″. Aus Kostengründen und um von Industrieproduktionen unabhängig zu sein, sei „auf Nichtwiedererkennbarkeit hin geschriebene Musik″ aus ARD-eigener Produktion mit eigenen Ensembles herumgeschickt worden („ARD-Koffer″). Trotz schwieriger ökonomischer Bedingungen seien aber auch viele hochwertige Produktionen entstanden. Nach drastischen Kürzungen des ARD-Finanzausgleichs im Jahre 2001 und immer weiter gehenden Sparmaßnahmen (bis hin zum beabsichtigten Abriss des baulich wie akustisch bedeutenden historischen Sendesaals von Radio Bremen) sei die „kulturfeindliche Entwicklung weg von eigener Produktion hin zur reinen CD-Abspielstation″ gegangen. Dennoch gäbe es Möglichkeiten, dem entgegen zu wirken, etwa durch Kooperation mit Plattenfirmen bei der Einspielung und Rückfluss eines Euros vom Verkaufserlös in die Produktion. Auch könnten die Rundfunkanstalten mit hochwertigen historischen Produktionsstätten erfolgreiche Mitbewerber auf dem Markt sein. Hierzu bedürfe es aber Initiativen nach Vorbild der in Bremen seit fünf Jahren aktiven „Freunde des Sendesaals″. Neben weiteren Aktivitäten regte Schulze auch eine Förderung von Spielstätten und Programmmachern an, etwa durch die Auslobung eines Spielstättenpreises für besonders engagierte und attraktive Konzertprogramme.

Wie in jedem Jahr fand zum Abschluss der Tagung unter Moderation von Detlef Humbert das Offene Forum mit einem breiten Spektrum kürzerer Beiträge statt.

Claus Peter Gallenmiller, eröffnete die Runde mit einem Rückblick auf den vergangenen 8. Diskografentag in Immenstadt und dem Ausblick auf die nächste Veranstaltung. Unter dem Thema „Europas Töne zum Klingen bringen″ widmeten sich auf der wie immer von der Gesellschaft für historische Tonträger (GHT) organisierten Tagung im Mai eine Reihe hochkarätiger Fachleute wie Pekka Gronow von Yleisradio Helsinki oder Rainer E. Lotz diskografischen und technischen Themen. Schwerpunkt war der „Workshop Restaurierung″. In einer Abendveranstaltung wurde unter authentischen Bedingungen eines historischen Plattenstudios Livemusik nicht nur gespielt, sondern auch auf Original-Decelithplatten aufgenommen. Der nächste Diskografentag vom 22. bis 25. Mai 2008 hat als Thema „Die Lindström-Story″ und beschäftigt sich mit dem Lebenswerk des legendären Schallplattenfabrikanten. Detaillierte Informationen zu allen Diskografentagen finden sich unter www.phonomuseum.at.

Silvia Delorenzi, Mitarbeiterin der Fonoteca Nazionale Svizzera (FNS) in Lugano und Präsidentin der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS), stellte in ihrem Referat zur Erfassungsproblematik bei der Tonbändersammlung der Basler Volkskundlerin Hanny Christen anhand einer Reihe bemerkenswerter Tonbeispiele die Arbeit der Schweizer Ethnologin von Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts vor. Die besondere Schwierigkeit der Erfassung und Erschließung dieser mit einem tragbaren Tonbandgerät aufgezeichneten Dokumente besteht in deren Heterogenität (traditionelle und klassische Musik, Vielfalt der Schweizer Sprachen und Dialekte) und dem Fehlen geordneter Notizen oder eines ordentlichen Kataloges. Am Ende der von der GVS, der Nationalphonothek und MEMORIAV getragenen, mühevollen Dokumentationsarbeit wird die Verfügbarkeit dieses Nachlasses in der Online-Datenbank der FNS www.fonoteca.ch stehen.

„Grass sehen und hören – Das Medienarchiv der Günter Grass Stiftung Bremen″ wurde von Florian Reinartz präsentiert. Mit dem aus Harro Zimmermanns Grass-Biografie stammenden Zitat „Öffentlichkeit ist von Anbeginn sein Lebenselement″ wies Reinartz auf den Sammlungsschwerpunkt des Medienarchivs hin. Rund 1.200 Ton- und Videodokumente, die meisten aus den Hörfunk- und Fernseharchiven der ARD, bilden das Rückgrat eines über mehr als fünfzig Jahre gewachsenen Bestandes aus „Diskussionsrunden, Interviews, Features und Lesungen″. Neben dem in Radio- und Fernsehbeiträgen festgehaltenen literarischen Schaffen nimmt die politische Teilhabe des „Dreinredners″, so Grass über sich selbst, einen bedeutenden Raum ein. Die auf der Basis vertraglicher Übereinkünfte von den ARD-Anstalten an das Medienarchiv zum Zweck (nicht nur literatur-) wissenschaftlicher Forschung abgegebenen audiovisuellen Dokumente sollen mit der Zeit vollständig digitalisiert vorliegen. Nicht zuletzt durch die Kontakte zur IASA und das Netzwerk NESTOR konnten Impulse für die digitale Langzeitsicherung des Materials und den künftigen interdisziplinären Zugriff gesetzt werden.

Das Internet-Schellacklexikon der GHT stellte deren Generalsekretärin Christiane Hofer in einem Kurzbeitrag vor. Ziel dieses Projekts der Gesellschaft für historische Tonträger ist „die Verbreitung von inhaltlichen und diskografischen Kenntnissen über Schellackplatten″. Durch ein „Credit-System″ sollen ein lebendiger Austausch und ein reger Datenfluss für eine stete Zunahme der Datenbasis und der Qualität gewährleistet werden: Für einen Download muss der Nutzer zahlen, für eine „guten Upload″ erhält er eine Gutschrift. Der Testbetrieb beginnt im Januar 2008. Eine detaillierte Präsentation ist für den Diskografentag 2008 vorgesehen.

Wolfgang Lux aus Berlin sammelt Rockmusik quasi auf der Metaebene. Im Referat www.rock-zas.de - Zeitungsausschnittsammlung im Internet präsentierte er seinen im Aufbau befindlichen Internetauftritt mit Informationen zu mehr als 4.200 Interpreten insbesondere der Richtungen Heavy Metal und Industrial. In seinem lebendigen Praxisbericht schilderte Lux die Herausforderungen einer über die Jahre auf über 300 Ordner mit Zeitungsausschnitten angewachsenen Materialfülle und die Höhen und Tiefen, die die Umsetzung einer solchen selbstgestellten Aufgabe mit sich bringt.

Marcel Aeby, Mitarbeiter der Fonoteca in Lugano und Alter Ego des Gitarrenheroen Jimi Hendrix, schloss mit seinem Vortrag Jimi – ein Hendrix-Freak berichtet ein äußerst abwechslungsreiches Offenes Forum ab. Die in höchster Konsequenz betriebene Hendrix-Verehrung Aebys begann im Frühjahr 1971 beim Hören einer Musikcassette seines Freundes Bruno, auf der sich faszinierende Gitarrenklänge wie „The Cry of Love″ oder „Freedom″ befanden. Doch aus der Absicht des 14jährigen Marcel, unbedingt ins Konzert zu gehen, „wenn der mal in die Schweiz kommt″, wurde nichts, weil Jimi Hendrix wenige Monate zuvor gestorben war. Statt sich nun aber auf stille Bewunderung und das Abspielen seiner Platten zu beschränken, legte Aeby sich nach und nach die nötige Ausrüstung zu, studierte die verfügbaren Aufzeichnungen, insbesondere des legendären „Monsterkonzerts″ in Zürich 1968, übte und übte und bildet heute mit den beiden Mitstreitern seiner vor rund zwanzig Jahren gegründeten More Experience als deren Gitarrist und Sänger die wohl beste Hendrix-Coverband der Welt. Alles Weitere und natürlich auch Musik findet sich auf Aebys Internetseiten www.more-experience.com und www.monsterkonzert.ch.

Beeindruckt nicht nur von der Bandbreite des Offenen Forums, sondern von der Qualität sämtlicher Tagungsreferate zeigte sich der Vorsitzende der Ländergruppe in seinem Schlusswort. Dr. Michael Crone dankte dem Publikum für aktive Teilnahme und einen lebendigen Austausch, den Vortragenden für informative und gehaltvolle Referate und Ulrich Duve und seinem Bremer Team für die vorzügliche Organisation und das großzügige Sponsoring.

Die Jahrestagung 2008 unserer Ländergruppe findet erstmals gemeinsam mit der österreichischen IASA-Gruppe Medien Archive Austria im Technischen Museum Wien statt.

Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V.