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Bericht über die IASA-Jahrestagung 1998

16. bis 18. Oktober 1998 in Marbach am Neckar

Programm

Das Schiller-Nationalmuseum / Deutsches Literaturarchiv in Marbach am Neckar war in diesem Jahr Gastgeber für rund 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Jahrestagung unserer Ländergruppe. Über den Dächern der reizvollen Geburtsstadt Friedrich Schillers erlebten die aus Deutschland, der Schweiz und Österreich kommenden Mitglieder der Ländergruppe und einige Gäste eine abwechslungsreiche und von unseren Gastgebern perfekt organisierte Tagung in angenehmer Umgebung.

In seiner Begrüßungsansprache gab zunächst Prof. Dr. Ulrich Ott einen historischen Abriß von den Anfängen bis zur Gegenwart seines Hauses. Er schlug den Bogen vom Sammeln und Bereitstellen literarischer Dokumente für die literaturwissenschaftliche Forschung und zur Bildung der Allgemeinheit bis zur Aufgabenstellung der IASA, von der man gerade im Hinblick auf Themenschwerpunkte wie Bestandserhaltung einiges lernen könne. Kurt Deggeller als Vorsitzender der Ländergruppe beschrieb in seinen einführenden Worten das wichtigste, aber dennoch „nicht erhaltene” Tondokument der Schweiz und dankte Friedrich Schiller dafür, daß dieser Wilhelm Tells „Apfelschuß” wenigstens in der Literatur festgehalten habe. Deggeller hob die Bedeutung der Tonaufnahme für die Erforschung des gesprochenen Worts besonders hervor. Das Grußwort des Executive Board der internationalen IASA überbrachte deren Generalsekretär Albrecht Häfner und gab bei dieser Gelegenheit einen Überblick über  die gegenwärtigen Aktivitäten der IASA. Strukturelle Neuorientierung der bisherigen Committees, das Verhältnis zu den Regional Branches und Affiliated Organisations und Überlegungen zum Wahlrecht seien für die internationale IASA die Diskussionsschwerpunkte der nächsten Zeit.
Im Anschluß an die Begrüßungsrunde konnten die Tagungsteilnehmer zwischen drei höchst interessanten Führungen wählen: die Jahresausstellung „Protest! Literatur um 1968” bot bemerkenswerte optische und akustische Eindrücke von der literarischen Umsetzung der Zeit der Studentenbewegung, in der Handschriftenabteilung umwehte uns angesichts jahrhundertealter Reisealmanache und Franz Kafkas Handschrift auf einem Brief Robert Musils der Hauch der Einmaligkeit, und die Dokumentationsstelle zeigte sich als „Schlüsselbewahrerin” an der Pforte zur deutschsprachigen Literatur und deren Erforschung.
Dementsprechend wurde der Freitagnachmittag durch einen Themenschwerpunkt „Literarische Tondokumente” abgerundet. Rainer E. Lotz, Bonn, ließ deutschsprachige Dichter von Hugo von Hofmannsthal bis Robert Gernhardt mit eigenen Gedichten zu Wort kommen und zeigte, welcher Stellenwert der eigenen Interpretation zukommt. Kurt Deggeller, Direktor des Vereins Memoriav zur Sicherung des audiovisuellen Kulturerbes der Schweiz in Bern, stellte ein Memoriav-Pilotprojekt vor. Das Projekt VOCS (Stimmen der Schweizer Kultur) widmet sich der Sicherung, Erschließung und Vermittlung von Tondokumenten der französischsprachigen Schweiz. Bisher wurden etwa 200 Stunden Tondokumente von Persönlichkeiten des Schweizer Kulturlebens aus den Beständen von Radio Suisse Romande mit Hilfe des digitalen Massenspeichersystems SIRANAU (gesprochen wie: „Cyrano”) gesichert. Andreas Kozlik, Deutsches Literaturarchiv Marbach, präsentierte eine Auswahl tönender Schätze seiner Institution. Hierzu zählen Dichter als Rezitatoren eigener Werke, Oral-History-Dokumente über bedeutende Dichter und Literaten auf Marbacher Veranstaltungen, etwa Martin Walsers berühmte Ansprache „Der unterirdische Himmel” zum 25jährigen Jubiläum des Deutschen Literaturarchivs im Jahre 1980.
Ein gemütliches Abendessen in Marbachs historischem Lokal „Zum Goldenen Löwen”, in dem Schillers Mutter als Wirtstochter aufgewachsen ist, bildete den Ausklang des Freitags.

Das Samstagsprogramm begann mit zwei Vorträgen über die Hörfunkdokumentation und ihre Nutzung im SWR. Michael Harms, Hauptabteilungsleiter Dokumentation und Archive im Südwestrundfunk, leuchtete zunächst die Hintergründe der Fusion von Süddeutschem Rundfunk Stuttgart und Südwestfunk Baden-Baden aus und verdeutlichte anschließend die Notwendigkeit des Wandels von der klassischen Trennung in Organisationseinheiten (Schall-, Fernseh-, Printarchive) hin zur „Multimedialität der Dienstleistung”. Carsten Dufner, Redaktion Multimedia im SWR Baden-Baden, zeigte, wie das vielfältige Angebot der Archivdatenbanken in multimediale Konzepte zum Nutzen des SWR-Programms Eingang findet. So lassen sich etwa bei Radioempfang über DAB oder Internet zusätzlich zum Musikhören titel- und biografische Informationen, Hitparadenplazierungen und Plattencoverabbildungen abrufen, die in den Archiven erzeugt werden. Die Zielvorstellung sei, so Dufner,  „... die individuelle Programminformation im Sinne einer noch besseren Wahrnehmung der Bedürfnisse unserer Hörer und Zuschauer”.
Der Bestandssicherung in der Praxis gehörte die zweite Hälfte des Vormittags. Christian Läpple, WDR Köln, schilderte die Aktivitäten des Westdeutschen Rundfunks zur Sicherung der analogen Archivbestände. Für die seinerzeit eigens zur Archivsicherung ins Leben gerufene WDR-Tochter WPEG wurde ein 3-Stufen-Plan aufgestellt, der die tägliche Digitalisierung von zunächst 300 (und in der dritten Ausbaustufe bis zu 700) Einheiten Analogband á 5 Minuten Dauer bei laufendem Programmbetrieb vorsieht. Klaus Heinz, AudioFile Berlin, referierte über digitale Sicherung von Audioproduktionen des Rundfunks und erläuterte dem Plenum die Grundlagen digitaler Reproduzierbarkeit und Fehlerkorrektur. Sein besonderes Augenmerk galt der künftigen Kapazität von Speichermedien und Leistungsfähigkeit von Rechnern und Netzen in Massenspeichersystemen. Demnach wird in zwei bis drei Jahren die lineare Übertragung von 1 Stunde Audiodaten innerhalb einer halben Sekunde möglich sein, und für das kommende Jahr ist eine DLT-Cassette (etwa in der Größe einer  Doppel-CD-Box) mit einer Kapazität von 500 GigaByte (entsprechend etwa 700 Stunden Audiomaterial) angekündigt. Zum Thema Digitaler Hörfunkarchiv-Massenspeicher im SWR referierte Albrecht Häfner, SWR Baden-Baden. Die Kernprobleme der Tonträgerarchivierung und -bereitstellung, Verfügbarkeit, Verschleiß und Verlust des Materials sowie Obsoleszenz der Abspielsysteme, führen zwingend zu Überlegungen, Audioaufnahmen tonträgerunabhängig als Audiofiles bereitzuhalten. Basierend auf Erfahrungen, die bei einem Pilotprojekt des SWF gesammelt wurden, erarbeitete eine gemeinsame Projektgruppe von SWF und SDR ein Konzept, das als optimale Lösung je einen Massenspeicher an den drei SWR-Standorten Baden-Baden, Mainz und Stuttgart anstrebt. Vorteile dieses Modells sind die hohe Datensicherheit, eine hohe Verfügbarkeit dieser Daten und eine auf lange Sicht günstige Kostenentwicklung wegen geringerer Leitungsdauerbelastung zwischen den Standorten.

Das Audio-Kulturerbe - Empfehlungen zu seiner Bewahrung, Projekte zu seiner Erschließung eröffnete das Programm am Samstagnachmittag. Wiederum Albrecht Häfner, diesmal in seiner Eigenschaft als langjähriges Mitglied des Technical Committee der IASA, erläuterte die IASA-Empfehlung „TC 03 - The Safeguarding of the Audio Heritage” (Die Erhaltung der Tonüberlieferung: Ethos, Grundlagen und Erhaltungsstrategie, Titel der von Häfner vorgelegten Übersetzung). Uwe Steinle, Affalterbach, stellte anschließend den Deutschen Grammophon-Club e. V. vor, in dem mehr als 130 Mitglieder, hauptsächlich Schellackplattensammler, vereinigt sind. Zur Vereinheitlichung der Archivierung und Verwaltung der Sammlungen seiner Mitglieder wurde von Vereinsmitglied Thomas Hambrecht das Computerarchivierungsprogramm Schellack-Pro entwickelt, dessen Version 4.0 dem Plenum präsentiert wurde. Das Programm bietet dem Schellacksammler ein  durchdachtes, komfortables und preisgünstiges Hilfsmittel zur Verwaltung seiner wertvollen Schellackplattenbestände. Einen Sachstandbericht des Projekts Firmen-Discographie historischer Tonträger (FDHT) erstatteten Egbert Liebold, Erfurt, und Rainer E. Lotz.
Diskutiert wurden der Entwurf eines dem Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main zur Prüfung vorgelegten Projektantrags und der vom DRA in diesem Zusammenhang aufgestellte Fragenkatalog. In der Aussprache wurde die Notwendigkeit einer gründlichen Klärung aller Aspekte dieses großen Projekts deutlich. Aus Zeitgründen wurde die Diskussion im Offenen Forum am Sonntag fortgesetzt. Hier wurde im Plenum die Forderung nach einer mit Fachleuten besetzten Projektgruppe erhoben, die sich aus Experten mit institutioneller Abstützung, diskographisch tätigen Privatsammlern und EDV-Experten zusammensetzen soll. In einer längeren Stellungnahme verdeutlichte Dieter Lerch, Deutsches Musikarchiv Berlin, die noch vorhandenen Schwachstellen im Projektantrag, zeigte aber auch die positiven Wirkungen auf, die von einer Professionalisierung des Projekts ausgehen könnten. Die Diskussion wurde mit der Bitte an den Vorstand abgeschlossen, sich im genannten Sinne weiterhin für das Projekt einzusetzen.
Zentrales Ereignis der Jahrestagung war auch in diesem Jahr die Mitgliederversammlung. Kurt Deggeller, der sich entgegen seiner ursprünglichen Absicht doch zu einer Fortsetzung seines Amts als Vorsitzender bereiterklärt hatte, wurde mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt und ihm damit der Auftrag zur Weiterführung seiner Amtsgeschäfte für die übrigen zwei Jahre dieser Amtsperiode erteilt. Ein positives Echo fand das im Mai 1998 erstmals erschienene Mitteilungsblatt der Ländergruppe Schall & Rauch, und auch die Internet-Aktivitäten nehmen konkrete Formen an. Als Ort für die nächste Jahrestagung, voraussichtlich in der ersten Novemberhälfte 1999, wird Köln ins Auge gefaßt, nachdem der Plan, mit der deutschen AIBM-Gruppe gemeinsam zu tagen, wegen der Terminüberschneidung mit der internationalen IASA-Tagung in Wien für 1999 aufgegeben werden mußte.
Zum Abschluß eines langen Sitzungstages trafen sich die Tagungsteilnehmer bei Württemberger Wein und echt schwäbischen Butterbrezeln auf Einladung des Südwestrundfunks in der Cafeteria des Deutschen Literaturarchivs, um noch bis in den späten Abend Erlebnisse, Erfahrungen und Informationen auszutauschen.

Der Sonntagvormittag sah ein Offenes Forum, das Raum für kurze Präsentationen, Referate und Diskussionsbeiträge bieten sollte, ohne etwa eine Diskussion im Plenum in ein zu enges Zeitraster zu pressen. Den Anfang machte Egon Ludwig, Rostock, der nach Schließung des Lateinamerikainstituts der Universität Rostock seit einigen Jahren die Erforschung der lateinamerikanischen Musik als Privatgelehrter betreibt. Er stellte in seiner bekannt lebendigen Art anekdotisch gewürzt die Datenbank „Mula” im lateinamerikanisch-europäischen Kulturprojekt vor, die nicht nur Informationen zu dieser Musik und ihren Interpreten enthält, sondern auch rund 50.000 Liedtexte lateinamerikanischer Volksmusik nachweist. Ulrich Duve, Klaus-Kuhnke-Archiv Bremen, präsentierte die Geschichte der Popmusik, das gemeinsame CD-Großprojekt seiner Institution mit Richard Weizes Bear Family Records. Die 52 Folgen der Sendereihe "Roll over Beethoven" über die Popmusik seit dem Zweiten Weltkrieg, von Radio Bremen in den Jahren 1984-86 ausgestrahlt, liegen nun auf ebensovielen CDs vor. Die gesprochenen Manuskripte wurden in lesbare Form gebracht und vervollständigen diese Edition in einem großformatigen Band mit sehenswerten Fotos und drei umfangreichen Registern. Norbert Nitsche gab einen Überblick über den Stand seiner Telefunken- / Ultraphon-Diskographie. Er hoffe, bis zur internationalen IASA-Tagung im September 1999 in Wien Fortschritte bei der Vereinigung der österreichischen Diskographie-Vorhaben melden zu können, dessen Koordination in seiner Hand liege.
Kurt Deggeller schloß die Tagung mit einem Wort des Dankes an unsere Gastgeber, an Herrn Professor Ott für die Gastfreundschaft, die Herren Dr. Schneider und Rambaldo für die ausgezeichnete Organisation vor Ort, Herrn Ott jr. für die virtuose Handhabung der Technik, an das gesamte Team des Deutschen Literaturarchivs für die fürsorgliche Betreuung und schließlich Herrn Professor Scharlau als Vertreter des Südwestrundfunks für die Einladung und Bewirtung am Samstagabend. Deggeller betonte die Bedeutung der Teilnahme möglichst vieler Mitglieder an solchen Tagungen und zeigte sich „... besonders beeindruckt vom Beitrag der privaten Sammler”.

Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V.