Bericht über die IASA-Jahrestagung 2014
14. – 15. November 2014 in Darmstadt
Das passte perfekt! Während die Internationale Vereinigung der Schall- und audiovisuellen Archive (International Association of Sound and Audiovisual Archives – IASA) in den Archiven forschte, blickte die Welt kurz zuvor via Satellitenkontrollzentrum der ESA (European Space Agency) in Darmstadt auf den Kometen „Tschuri“ und den dort gelandeten „Kühlschrank“, nämlich das Landegerät „Philae“. Daraufhin lieferte einer der Referenten gleich die passende Namensänderung für die IASA: International Association of Space Agency.
Immerhin hatten beide Unternehmen eines gemeinsam: mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Tiefen eines Raumes zu erforschen. Wie das im Einzelnen geschehen kann, zeigte das anspruchsvolle Tagungsprogramm mit seinen weitreichenden Themen. Übrigens, „… Space Agency“ war dann auch passenderweise das Kennwort zum Eintritt ins Jazzkonzert des Manfred-Schulze-Bläserquintetts im legendären Jazzinstitut Darmstadt. Dieses Institut war neben dem gastgebenden Literaturhaus die zweite Institution, die die Tagung unterstützte und die der Jazzexperte Dr. Wolfram Knauer im Auftaktreferat vorstellte, bevor der IASA-Vorsitzende Pio Pellizzari mit seiner Begrüßung die Tagung eröffnete.
Die Berichte im ersten Teil des Programms am Freitagvormittag standen unter der Überschrift „Von der Institution zum Portal bis zum privaten Archiv“. Dazu bot Dr. Kurt Schmutzer (Multimediales Archiv, Österreichischer Rundfunk, Wien) seinen Beitrag über die ORF-Archivaußenstelle an der Universität Wien und erläuterte deren Grundlagen, Lösungen und Erfahrungen für eine Öffnung des Angebotes zu wissenschaftlichen Zwecken.
Tobias Schröter-Karin (Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart) stellte danach das Archivportal-D vor, das als Service der Deutschen Digitalen Bibliothek mit zur Zeit 38 Datenlieferanten und 435 registrierten Archiven das Ziel verfolgt, ein nationales Archivportal zu werden.
Abgerundet wurde der Themenblock von Mary-Ellen Kitchens (Hörfunkarchiv Bayerischer Rundfunk, München), die mit „Personal Digital Archiving“ Ansätze und Empfehlungen der Library of Congress weitergab, Personen bei der digitalen Organisation, Ordnung und Erschließung ihrer eigenen Mediensammlungen zu unterstützen, um eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Sammlungen zu ermöglichen.
Johannes Theurer (Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin) belebte das Thema „Archive: Umfangreich vernetzt!“ gleich zu Beginn des zweiten Blocks mit seinem Beitrag „Die ganz große Vernetzung – Europeana Sounds aggregiert Audio für Europeana“. Europeana Sounds wird den Zugang zu Europas reichhaltigem und vielfältigem akustischen Erbe erleichtern und macht viele Tondokumente erstmals online zugänglich. Das Projekt ist Teil des Ausbaus der Europeana. Die Inhalte erstrecken sich über die Musik hinaus auch auf Sprache und Naturklänge. Die Vernetzung wurde gleich im nächsten Beitrag weiter geknüpft. Christiane Hofer (Gesellschaft für Historische Tonträger, Wien) berichtete nämlich anschließend über „Praktische Erfahrungen und Erlebnisse mit ‚DISMARC‘ als Benutzerschnittstelle“ und führte dazu Beispiele aus privaten Nutzeranfragen zu historischen Sängerpersönlichkeiten an, die mit DISMARC (DIScovering Music ARChives) recherchiert wurden, was durch die Zusammenführung digital vorliegender Metadaten-Kataloge von Audio-Archiven auf einer eigenen Datenbank möglich ist.
Einen fulminanten Beitrag lieferte Kurt Deggeller (Schweizer Nationalphonothek, Lugano) mit der „Geschichte des Archivs Montreux Jazz Festival“, die auch die Geschichte des 2013 im Alter von 77 Jahren verstorbenen Festivalgründers Claude Nobs ist, dessen Archiv mit ca. 4.000 Stunden technisch und künstlerisch hochqualitativen Konzertmitschnitten noch auf die vollständige Erschließung und Vernetzung wartet.
Die Nachmittagsvorträge wurden unter „Archive stellen sich vor“ zusammengefasst. Dazu gab Jürgen Krebber (IMD, Internationales Musikinstitut Darmstadt) seinen Bericht „Sammeln, Sichern, Beschreiben. Die Digitalisierung des Archivs im Internationalen Musikinstitut Darmstadt“. Zur „neuen“ Auflösung der Abkürzung IASA (s. o.) passte die Vorführung eines Filmausschnitts aus Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ mit der Musik von György Ligeti gut. Das Archiv umfasst die vier Bereiche Schall, Text, Foto und Presse sowie die Bibliothek mit 40.000 Partituren und 5.000 Büchern.
Bevor die Exkursion ins Jazzinstitut startete, begab sich Prof. Dr. Bernhard Thull (Hochschule Darmstadt) mit seinem Beitrag zur „Entwicklung des Linked Data-Tanzarchivs für die Pina Bausch Foundation“ in die Sparte Tanz, die ungewöhnlich im Archivwesen ist. Mit äußerst anspruchsvollen Mitteln werden dort die komplizierten Zusammenhänge in der Tanz-Dokumentation (Videos, Schriften, Kostüme etc.) dargestellt.
Den Rest des Nachmittags verbrachten die TeilnehmerInnen mit der Besichtigung des Jazzinstituts Darmstadt, bis sie zum Gemütlichen Beisammensein oder anschließend mit Passwort (s. o.) in den Konzertkeller des Jazzinstituts gingen.
Das einmalige Jazzinstitut mit seinem Tonträger-, Zeitschriften- und Bücherarchiv ist schon fast so legendär wie die Musik, um die es sich kümmert und bestreitet seine Aufgaben auf ganz konventionelle Weise, von Digitalisierung fast noch keine Spur. Oder doch, es gibt es ein kleines Fotostudio, in dem Jazz-Plakate in digitales Format gebracht werden. Früher holten sich viele Jazzinteressierte ihre Informationen im Jazzinstitut. Die Nutzung vor Ort ist wegen des Internets aber rückläufig und Auskünfte werden häufiger online erteilt.
Die Mitgliederversammlung am Samstagvormittag mit den Berichten des Präsidenten Pio Pellizzari und der Schatzmeisterin Anke Leenings bot die Möglichkeit, sich über verschiedene Themen der Vereinsarbeit zu informieren. So kommt z. B. die Redaktion der Zeitschrift „Schall und Rauch“ in feste Hände, die zu Frank Wonneberg gehören. Die Stelle des Sekretärs wartet auf einen Inhaber und zur Wahl 2015 müssen drei Vorstandsposten neu besetzt werden. Auch die IASA bleibt von Satzungsänderungen nicht verschont, die aber „abgesegnet“ wurden. Anschließend erfolgte ein Informationsaustausch zur aktuellen Situation der IASA, von Kurt Deggeller moderiert. Seit 1990 wird die Diskussion über die Zukunft der IASA geführt, denn Generationenwechsel und Themenänderungen z. B. im Bereich des Rundfunks oder der Schellackplattensammler infolge Digitalisierung und der entsprechenden Verbreitungsmöglichkeiten fordern ständig zum Überdenken heraus. Klangereignisse beziehen sich immer weniger auf die Musik. Technologiewechsel vom Physischen zum Nichtphysischen, stärkere Konzentration auf Inhalte und netzverbundene Metadaten machen eine stärkere Zusammenarbeit mit Musikbibliotheken notwendig. Die Tagungen und der Webauftritt müssen ständig angepasst werden. Das Fazit war, sich mehr der Ausbildung, dem eigenen Potential und der Vernetzung zu widmen, wobei auch die Partnerschaft zur AIBM angesprochen wurde.
Nach der Mittagspause begab sich die Tagung ins „Offene Forum“, das von Detlef Humbert moderiert wurde, der zu Beginn Prof. Dr. Klaus Michael Indlekofer (Hochschule RheinMain, Wiesbaden) mit dem Vortrag „Erweiterte Archivierung von Compact Discs auf der Ebene des Kanalcodes“ ankündigen konnte. Dieses Verfahren geht vollständiger als andere in die Datenstruktur einer CD hinein, so dass man von einer kompletten und verwobenen Erfassung sprechen kann. Erreicht wird dies quasi mit einem „Foto der CD“, also einer Quellenarchivierung.
Dr. Dietmar Preißler (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn) sprach danach über „AV-Sammlungen in einem zeithistorischen Museum“ mit den Schwerpunkten „Ausstellung“ oder „Sammlung“. Er bezog sich auf das Buch „Gedächtnis des Rundfunks - Die Archive der öffentlich-rechtlichen Sender und ihre Bedeutung für die Forschung“, herausgegeben von Markus Behmer (Springer-VS), ging auf ein „Netzwerk Mediatheken“ ein und vertrat den Slogan „Schaulust statt Leselust“ für Museen.
Jürgen Grzondziel (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) folgte mit dem Referat „Standardisierung von Erschließungsdaten digitalisierter Tonträger in wissenschaftlichen Sammlungen“. Gegenstand des Projekts sind die Entwicklung eines Datenformats und die Erarbeitung einer Normdatei. Im Gegensatz zu Drucken existieren dafür in Deutschland noch keine Standards. Tonaufnahmen sollen in bereits etablierten, internationalen Datenformaten (METS, MODS, MIX) abgebildet werden. Digitalisierte Tonträger werden in Zukunft wie bisher digitalisierte Handschriften, Printmedien und Fotographien darstellbar sein.
Dr. Jürgen Schaarwächter (Max-Reger-Institut/Elsa-Reger-Stiftung, Karlsruhe) sprach am Ende des ersten Nachmittag-Teils über „Klangbestände des BrüderBuschArchivs im Max-Reger-Institut und ihre Auswertung“. Das BrüderBuschArchiv besteht aus einer umfangreichen Sammlung von Materialien, die das Leben und Wirken des Dirigenten Fritz Busch (1890-1951), des Geigers und Komponisten Adolf Busch (1891-1952), des Schauspielers Willi Busch (1893-1951), des Cellisten Hermann Busch (1897-1975) und des Pianisten und Komponisten Heinrich Busch (1900-1929) dokumentieren. Die enge Beziehung zwischen Max Reger, Fritz und Adolf Busch ließ eine Verbindung mit dem Max-Reger-Institut evident erscheinen. Anfang 1999 wurde das BrüderBuschArchiv dem Max-Reger-Institut zunächst als Dauerleihgabe übergeben und 2003 zugestiftet.
Der weitere Nachmittag ließ das Sammlerherz höher schlagen, denn zum Thema „Jazz in Deutschland“, moderiert von Claus Peter Gallenmiller, ließ Dr. Rainer E. Lotz (Bonn) zuerst „Amerikanische Jazz-Orchester in der Weimarer Republik“ aufspielen und das in recht beträchtlicher Zahl. Deutschland war in der Krise nach dem Ersten Weltkrieg hungrig nach der neuen Musik, was viele amerikanische Musiker auch wegen der Prohibition anzog. Deren Bands hinterließen Plattenaufnahmen mit exotischen Namen wie „Chocolate Kiddies – Neger Revue Truppe“ und wurden als „Original Jazz Band“ definiert, nur weil sie ein Schlagzeug („Drumset“) in der Besetzung hatten. Zum Schluss ging Andreas Schmauder (Phonopassion, Horben) mit seinem Referat „Die Ultraphon-Studio-Band“ ins Detail und brachte erstaunliche Dinge hervor. Stereophonie gab es nämlich schon in der Schellackzeit, indem zwei hintereinander geführte Abtastnadeln einen durch Zeitverzug entstandenen Hall-Raumklang erzeugten, der einen Stereoeffekt simulierte. Die Ultraphonplatten hatten zwar eine gute Aufnahme- aber schlechte Pressqualität. Nach der Pleite existierte die Firma im Ausland (Frankreich, Tschechische Republik) weiter. Das Ultraphonorchester hatte mehrere Namen.
Mit dem Schlusswort des Vorsitzenden der IASA-Ländergruppe Deutschland/Schweiz e. V. Pio Pellizzari ging eine spannende und erlebnisreiche Tagung zu Ende und die Aussichten für die Innsbrucker Nachfolge am 14. und 15. November 2015 sind thematisch bestens. Hoffentlich werden die Besetzungsschwierigkeiten bei der Wahl des Vorstandes überwunden, damit die Aktivitäten der IASA auch in Zukunft abgesichert sind.
Stefan Domes
24. September 2015