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Bericht über die IASA-Jahrestagung 2000

20. bis 24. September 2000 in Leipzig

Rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich vom 20. bis 24. September in Leipzig zur gemeinsamen Jahrestagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/ Deutschschweiz e. V. und der AIBM-Gruppe Bundesrepublik Deutschland e. V. Zuletzt hatten beide Sektionen der Internationalen Vereinigung der Musikbibliotheken, Musikarchive und Musikdokumentationszentren und der Internationalen Vereinigung der Schall- und audiovisuellen Archive im Herbst 1996 gemeinsam in Weimar getagt. Leider fiel die Beteiligung der IASA-Mitglieder mit weniger als 20 Anmeldungen etwas mager aus. Gemeinsame Gastgeber, denen für ihr Engagement an dieser Stelle ein besonderer Dank gebührt, waren die Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken und die Bibliothek der Hochschule für Musik.

Zum Auftakt des Programms konnten frühzeitig angereiste Tagungsteilnehmer in verschiedenen Führungen durch die Deutsche Bücherei, das Mendelssohn-Haus, die Universitätsbibliothek oder die städtische Musikbibliothek sich einen Einblick in die große kulturelle und wissenschaftliche Tradition Leipzigs verschaffen.

Nach Arbeitsgruppen- und Kommissionssitzungen der AIBM wurde die Tagung offiziell am Donnerstagnachmittag durch die Präsidenten der beiden veranstaltenden Ländergruppen eröffnet. Wolfgang Krueger, AIBM, zeigte sich beeindruckt von Leipzig als „blühender Stadt voller musikalischer Werte″. Kurt Deggeller, IASA, schlug ausgehend von der „Familiengeschichte″ von AIBM und IASA den Bogen zu den zeitgemäßen Tagungsthemen wie Datenbanken, WorldWideWeb und neuen Nutzungsformen. In seiner Begrüßung hob Christoph Krummacher als Rektor der 1843 in Leipzig gegründeten ältesten deutschen Hochschule für Musik und Theater die Bedeutung von Bibliotheken „als unverzichtbare Arterien im Kreislauf Musik″ hervor: Es sei „Aufgabe der Bibliotheken, den Künstlern und Lehrenden - durchaus unbequem - klar zu machen, dass Musik Kunst und Wissen bedeutet″.

Leipzigs Kulturdezernent Georg Girardet unterstrich in seinem Eröffnungsvortrag den besonderen Rang der kulturellen Initiativen der Leipziger Bürger im 18. und 19. Jahrhundert. Dem traditionellen „Leipziger Quartett″ aus Thomanerchor, Musikhochschule, Gewandhaus und Oper gesellen sich als Beispiele für ein überaus vielfältiges Kulturleben Theater, Schauspiel, Jazztage und Buchmesse hinzu. In seinem von Brigitte Geyer, Leiterin der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken, verlesenen Vortrag über „Leipziger Musikverlage gestern und heute″ gab Hans-Martin Pleßke einen Abriss der Entwicklung von Breitkopfs Erfindung des Notendrucks mit beweglichen Lettern Mitte des 18. Jahrhunderts über die große Zeit der hier ansässigen Musikverlage bis zur Gegenwart, in der Leipzig nur noch eine einzige Musikalienhandlung besitzt. Hans-Joachim Schulze, Direktor des Bach-Archivs, schilderte in einem sehr persönlichen Vortrag die wechselvolle Geschichte seines Instituts seit der Gründung im Bachjahr 1950. Im Jubiläumsjahr des Bach-Archivs gelte es, den „Spagat zwischen Zettelkatalogen und neuen Medien, aber auch zwischen wissenschaftlichen Ambitionen und Veranstaltungsmanagement″ zu bewältigen.

Abgerundet wurde der Donnerstag durch einen von musikalischem Nachwuchs umrahmten Empfang im Neuen Rathaus und ein Konzert des Gewandhausorchesters mit dem Gastdirigenten Daniel Harding und dem Solisten Kolja Blacher.
Am Freitagvormittag hatten die Tagungsteilnehmer die Qual der Wahl, entweder den ersten Teil der gemeinsamen Sitzung von IASA und AIBM-Kommission für AV-Medien oder das digitale Audioarchiv des Mitteldeutschen Rundfunks in Halle zu besuchen.

Katharina Beer, Deutsche Bücherei Leipzig, eröffnete die Vormittagssitzung mit einem Referat über die Tonträgersammlung der Deutschen Bibliothek / Deutschen Bücherei Leipzig in Vergangenheit und Gegenwart. Das Sammeln von Sprach- und Musiktonträgern durch die Deutsche Bücherei wird seit 1974 durch die Abgabe von Pflichtexemplaren unterstützt. Stefan Domes, Städtische Bibliotheken Dresden, berichtete über das Sony-Music-Box-Projekt, das im neuen Sony-Center am Potsdamer Platz in Berlin besucht werden kann. Dieser musikalische „Erlebnispark″ wurde zum Teil zusammen mit dem Zentrum für Kunst- und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe konzipiert. „Neue Schallplattenangebote - Schallplattenhandel im Internet″ referierte Pio Pellizzari, Schweizerische Landesphonothek Lugano. Nach einer Übersicht über die inzwischen zahlreich vorhandenen Adressen für Tonträgerhandel, institutionelle und private Sammlungen, Zubehörhandel etc. gab Herr Pellizzari online Beispiele für kommerzielle Webseiten und führte durch die Homepage der Landesphonothek als Beispiel für die Internetpräsenz institutioneller Tonträgersammlungen. Pio Pellizzari bestritt auch den folgenden Vortrag über „MP3-Angebote im Internet und ihre Nutzbarkeit in Musikbibliotheken″. Nach einer Einführung in die Materie dieses sehr neuen und vor allem urheberrechtlich noch sehr problematischen Bereichs wurden in einem Erfahrungsaustausch der Anwesenden Überlegungen im Zusammenhang mit dem sich verändernden U-Musikbereich und den sich daraus ergebenden Pflichtexemplar- und Urheberrechtsfragen diskutiert.

Martin Detmer, Archivleiter des MDR, stellte in Halle das digitale Audioarchiv vor. Im Zweischichtbetrieb werden durch die MDR-Tochterfirma MCS monatlich bis zu 500 Stunden analoges Audiomaterial digitalisiert, so dass bei Projektende 2000 rund 16.000 Stunden digital vorliegen. Des weiteren wird der Archivspeicher ADMIRA mit aktuellen Beiträgen aus dem Wellenspeicher und mit im Hause gecaptureten Industrieaufnahmen gefüllt. Die Ablage im Speicher erfolgt sowohl linear als auch im Sendeformat MPEG1 Layer2. Neben Audiodateien werden auch Bild- und Textdateien (z. B. Cover und Programmhefte) verwaltet. Als Referenzdatenbank wird ZWM des Deutschen Rundfunkarchivs genutzt.

Dienstleistungen und Datenbanken auf dem Rundfunksektor standen im Mittelpunkt der gemeinsamen Nachmittagssitzung der AIBM-Kommission für AV-Medien, AIBM-AG Rundfunk und IASA. Christiane Schafferhans vom Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt am Main gab zunächst einen aktuellen Überblick die Dienste des DRA und stellte im Anschluß das Datenbanksystem "ZUN" (Zentrales Universelles Netmastersystem) vor. So sind z. B. die Wort- und Musik-Hinweisdienste jetzt auf der Webseite des DRA im Internet verfügbar, und im ARD-Intranet können nach der Einführung von ZUN@WEB neben den Rundfunkanstalten auch andere Benutzergruppen mit Zugangsberechtigung in der DRA-Datenbank recherchieren. Knud Brockmann, SWR Stuttgart, präsentierte die in Kooperation mit verschiedenen ARD-Anstalten entwickelten Datenbanken der "SAD-Welt". Dieser Datenbankverbund deckt die Archivbereiche Hörfunk, Fernsehen, Bibliothek, Presse und Historisches Archiv ab. Alle Produkte basieren auf den jeweiligen ARD-Regelwerken und weisen eine integrierte Bedieneroberfläche auf. Die Musikdatenbank MUSAD erlaubt die anstaltsübergreifende Cross-Recherche und bietet Schnittstellen zu anderen Datenbanksternen wie der ZUN-Datenbank des DRA. Datensätze können dank ihrer übersichtlichen Aufbereitung schnell für die Sendeplanung der Redaktionen genutzt werden. Jutta Lambrecht, WDR, stellte die Rundfunklandschaft und Archivsituation in der ARD dar und verdeutlichte diese Aussagen an konkreten Beispielen aus dem WDR. Strukturelle Veränderungen erfordern nicht nur Reaktionen, sondern auch aktive Mitgestaltung, wie sie etwa in der gut gestalteten Seite der Abteilung Dokumentation und Archive im Intranet des WDR sichtbar ist. Aktives Vorgehen war zur Sicherung des Programmvermögens erforderlich und führte zur Gründung der WDR-Tochter WPEG (Westdeutsche ProgrammentwicklungsGmbH), die seit Herbst 1999 die Archivbestände des WDR digital sichert. Seit Oktober 1998 besteht mit „ARCHIMEDES Musik und Noten″ eine Datenbank mit grafischer Rechercheoberfläche für alle Medienarten.

Die Mitgliederversammlungen von AIBM und IASA bestimmten den Samstagvormittag. Die Vorstandswahlen der IASA-Ländergruppe brachten lediglich eine personelle Veränderung: Rainer E. Lotz mußte nach zwei Amtszeiten als stellvertretender Vorsitzender aus dem Vorstand ausscheiden. Neu in dieses Amt gewählt wurde Reinhard Otto, Hamburg.

Nach der positiven Resonanz im Vorjahr fand auch diesmal wieder ein Gespräch mit einem prominenten Zeitzeugen der Radio- bzw. Schallplattengeschichte statt. Dirk Gebhardt entlockte Walter Eichenberg, dem Mitbegründer und nach Kurt Henkels langjährigen Leiter des Rundfunk-Tanzorchesters Leipzig, in einem ebenso kurzweiligen wie informativen Gespräch viele bemerkenswerte Details aus einem abwechslungsreichen Musikerleben. In Vertretung des erkrankten Rudolf Müller, Schweizer Radio DRS Zürich, präsentierte anschließend Kurt Deggeller einen Streifzug durch die Geschichte des Deutsch-Schweizerischen Radios im Spiegel der Musikproduktion.

Unter dem Themenschwerpunkt „Sammler, Sammlungen, Discographie″ stellte zunächst Dirk Gebhardt, München, sein Spezialgebiet, die Sammlung von Tonträgern des Erzgebirges vor. Im Mittelpunkt seines mit vielen raren Tonbeispielen gewürzten Vortrags stand natürlich der „Begründer des Erzgebirgsliedes″, Anton Günther, der durch Lieder wie „Drham is drham″ und besonders „Feieromd″ bekannt wurde. Schon vor Günther war Hans Soff in diesem Genre aktiv. Wenzel Max und Max Nacke mit seinem „S' Altenburger Bimmelbahnel″ waren weitere namhafte Vertreter der erzgebirgischen Liedkultur. Helena Pallmann, Sorbisches Institut Bautzen, brachte uns die den wenigsten ihrer Zuhörer bekannte Produktion mit Tonaufnahmen der sorbischen Bevölkerung der Region um Bautzen, Cottbus und Kamenz näher. Seit der sorbisch-slawischen Besiedelung der Gegend im 6. Jahrhundert hat sich hier eine Kultur erhalten, die auch ein Verbot der sorbischen Sprache durch die nationalsozialistischen Machthaber nicht beseitigen konnte. Von der ersten Schallplattenaufnahme 1907 im Spreewald über heimlich verbreitete Tonaufnahmen während der Nazizeit bis zu Popaufnahmen der 90er Jahre reichte die Spannweite der von Helena Pallmann präsentierten Tonbeispiele aus den bislang bekannten 56 Schallplatten sorbischen Ursprungs.

Das „Offene Forum″ am Sonntag bildete auch in diesem Jahr wieder den Abschluss der Tagung. Rainer E. Lotz, Bonn, beantwortete die Frage, welchen Nutzen Sammler aus dem Internet ziehen können. Er gab einen äußerst informativen Überblick über Suchmaschinen und einschlägige Web-Adressen, die Tonträgersammlern und Discographen etwas zu bieten haben, wies aber auch auf die Bedeutung der richtigen Suchstrategie und Wahl der Terminologie bei der Eingabe hin. In der nächsten Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift Schall & Rauch wird dieser Vortrag mit seinen zahlreichen Internet-Adressen zu finden sein.

Die nächste Tagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz wird voraussichtlich am ersten Novemberwochenende 2001 beim Deutschen Musikarchiv in Berlin stattfinden.

Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V.