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Bericht über die IASA-Jahrestagung 2005

04. bis 05. November in Fribourg

Programm

Gastgeberin der Jahrestagung 2005 der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. war die Ecole d'ingenieurs et d'architectes de Fribourg (EIF - Hochschule für Technik und Architektur Freiburg), bei der die wissenschaftliche Erforschung und technische Umsetzung des Projekts VisualAudio angesiedelt sind. Der Abschluss der Prototyp-Phase war Anlass für die Einladung nach Fribourg, und die öffentliche Präsentation von VisualAudio war dementsprechend auch Schwerpunkt und roter Faden dieser Tagung. Alles war vom Organisationskomitee um Julia Brügger und Prof. Ottar Johnsen von der EIF sowie Pio Pellizzari, Direktor der Fonoteca Nazionale Svizzera (FNS), mit Schweizer Präzision bestens organisiert, sodass die rund 50 Tagungsteilnehmer viele neue Einblicke, wertvolle Erkenntnisse und natürlich die Erinnerung an angenehme Tage in der schönen Zähringerstadt Fribourg mit nach Hause nehmen konnten.

Grußworte von EIF-Direktor Michel Rast, Pio Pellizzari, Dr. Michael Crone und Kurt Deggeller leiteten zum Tagungsschwerpunkt VisualAudio über, dessen Vorgeschichte und Grundlagen Pio Pellizzari und Stefano Cavaglieri, Leiter der tontechnischen Abteilung der FNS, in ihrem Eröffnungsreferat präsentierten. Wichtigste Aspekte von VisualAudio seien, dass auch als „verloren″ geltende Platten über das System „abgetastet″ werden könnten und mit der Fotografie eine stabile Analogkopie entstehe, die auch später bearbeitet werden könne.

Ottar Johnsen, an der EIF für das Projekt verantwortlich, beschrieb in seinem Vortrag „Principles and Systems Aspects of VisualAudio″ die Prinzipien des Verfahrens und zeigte ausgehend von den sich aus der Beschaffenheit des zu rettenden Materials ergebenden Grundproblemen die Systemanforderungen und den bis heute erreichten Stand der fotografischen Sicherung auf. Von gesprungenen bzw. verschimmelten Azetatplatten „abfotografierte″ Einspielungen von Werken des Schweizer Komponisten Paul Burkhard offenbarten nach Einscannen und nur geringfügiger Audiobearbeitung bereits eine bemerkenswerte Wiedergabequalität.

Cédric Milan, als Elektroingenieur im Projekt zuständig für das fotografische System und den Filmscanner, stellte beispielhaft die speziellen Herausforderungen dar, die sich etwa aus der beim Zusammenwirken von Diffraktion und Defokussierung resultierenden Fehlerkurve ergeben und zeigte, mit welchen Maßnahmen eine optimale Ausleuchtung und noch bessere Auflösung zu erzielen sind.

Mit allen computerbasierten Systemfragen im Projekt VisualAudio beschäftigt sich Sylvain Stotzer, Doktorand im Fach Informatik. Er referierte über Algorithmen zur Tonrückgewinnung, Analyse der Tonqualität und Möglichkeiten der Tonrestaurierung. Bemerkenswert ist, dass der größte Teil der Korrekturen bereits am Bild stattfindet, aus welchem dann der Ton extrahiert wird.

Einem interessierten und durch vielfältige Diskussionsbeiträge lebhaft Anteil nehmenden Publikum führte das VisualAudio-Projektteam der EIF im Tagungsverlauf an verschiedenen Stationen den Sicherungs- und Bearbeitungsprozess in der Praxis anschaulich vor. (Ausführlich wird VisualAudio in Schall & Rauch Heft 9 (2006) dargestellt; hingewiesen sei auch auf die Website der EIF.)

Den thematischen Schwerpunkt des Freitagnachmittags bildete Aufbewahrung der Originale – Theorie und Praxis. Kurt Deggeller moderierte und führte in das Thema mit Zitaten aus Ray Edmondson's „Audiovisual Archiving – Philosophy and Principles″ ein, worin sich der Autor u. a. mit der Bedeutung von Primär- und Sekundärinformation, der Unterscheidung von Inhalt und Objektcharakter und der Abhängigkeit der Frage „Was wird aufbewahrt?″ von der Aufgabenstellung der jeweiligen Institution auseinandersetzt.

Nadja Wallaszkovits, Chefingenieurin des Phonogrammarchivs in Wien, trug ihr gemeinsam mit Dietrich Schüller erarbeitetes Referat „Bewahrung der Originale nach der Digitalisierung – Sinn und Grenzen″ vor. Auf die Darstellung von Argumenten für und gegen eine Aufbewahrung folgte als Lösungsvorschlag, die Originale nach deren Digitalisierung an National-, Regional- und wissenschaftliche Archive zu übergeben. Die Frage „Are you sure?″ müsse bei jeder Überlegung, ein Original zu löschen, als Hemmschwelle stets gegenwärtig sein.

Auf restaurierungs-ethische Aspekte seit den Grundsätzen des Marquis d'Argens aus dem Jahr 1752 lenkte Andreas Weisser, Diplom-Restaurator aus Freiburg im Breisgau, das Augenmerk des Publikums. Sein Vortrag mündete in die dezidierte Forderung nach Authentizität, ganzheitlicher Betrachtung des Objekts samt seiner Geschichte und dem Verständnis vom Ausnahmecharakter der Restaurierung als Grenze zur Hypothese.

Joachim Polzer, Fachmann für AV-Digitalisierung aus Potsdam, beleuchtete ein wenig bekanntes Thema und stellte das TeD-Bildplattenprojekt - Erhaltung und Zugänglichmachung der Inhalte früher AV-Medien am Beispiel der Telefunken-Bildplatte vor. In diesem Projekt geht es um die Sicherung der vorhandenen Hard- und Software dieses im Jahre 1970 der Öffentlichkeit präsentierten Mediums.

Neben den drei Referenten und dem Moderator des Themenblocks nahmen an der anschließenden Podiumsdiskussion Pio Pellizzari und Rudolf Müller, Memoriav/SRDRS Zürich, teil. Zu den Stichpunkten einer lebhaften Diskussion um die Aufbewahrung von Originalen zählten neben den Begrifflichkeiten u. a. Priorisierung und Selektion, Kulturgut und Programmrelevanz oder die Gefährdung von „Kontextdokumenten″.

Nach einem anregenden Abend, an dem dem Begriff der Authentizität mit Alphornquartett und Fondue á la Fribourg gehuldigt wurde, fand am Samstagmorgen zunächst die jährliche Mitgliederversammlung der Ländergruppe statt.

Den anschließenden Themenblock „Musikalische Spezialsammlungen im historischen Kontext″ eröffnete Pio Pellizzari mit einem Referat über den Nachlass des Flonzaley-Quartetts, des 1903 gegründeten ersten professionellen Streichquartetts der Schweiz. Die Aufarbeitung dieser trotz ihres nicht sehr großen Umfangs höchst bedeutenden Sammlung durch die FNS ist ein wichtiger Beitrag zur Interpretationsgeschichte, wobei noch eine Reihe von Fragen unbeantwortet sind und möglicherweise im Zusammenspiel mit anderen Forschungsinstitutionen und Sammlern geklärt werden können.

Christiane Hofer, Gesellschaft für historische Tonträger (GHT) Wien, und Claus Peter Gallenmiller, Sammlerkollege aus Durach, stellten die historischen Musiksammlungen in der GHT unter besonderer Berücksichtigung der Sammlung Alfred Seiser vor. Einem Überblick über Ziele und Arbeit der GHT folgte die Präsentation des etwa 10.000 Tonträger umfassenden, zu etwa vier Fünfteln aus Opernaufnahmen bestehenden Seiser-Nachlasses, der sich heute im Besitz der GHT befindet. Gallenmillers Betrachtungen über die Bedeutung der GHT aus Sammlersicht rundeten den Vormittag ab. Aus seiner Sammlung sind mehr als 8.500 Schallplatten in einer Datenbank dokumentiert und 1.300 davon nach einschlägigen Richtlinien voll digitalisiert. Der Zugang zu diesem Teil seiner Sammlung ist über die Website der GHT möglich.

Nach der Mittagspause mit weiteren VisualAudio-Vorführungen bildete das von Dr. Michael Crone moderierte Offene Forum den traditionellen Abschluss der Tagung.

Claus Peter Gallenmiller präsentierte zur Eröffnung sein Realisierungskonzept für FDHT durch Offline-Clients. Zwischen den einzelnen Anwendern, die ihre lokalen „Sammlungsdaten″ via Internet oder per Datenträger eingeben, und dem zentralen Datenbankrechner findet eine ständige Ergänzung und Validierung der discographischen Daten statt, wodurch ein „Informationskreislauf″ mit steigender Datenqualität entsteht. Im Anschluss wurde das Konzept lebhaft diskutiert, wobei die Möglichkeit zur Integration „privater Daten″ viel Anklang fand.

Rudolf Müller erstattete als einer der Autoren seinen Werkstattbericht zum Projekt Geschichte der SRG 1958 bis 1982 (Buchveröffentlichung Februar 2006). Der darin behandelte Zeitraum beginnt mit der Einführung des SRG-Fernsehens und endet mit dem Start des dualen Rundfunksystems aus öffentlichen und privaten Anbietern in der Schweiz. Für das Werk musste das Autorenteam mehr als 5.300 Dokumente auf rund 100.000 PDF-Seiten sichten und unzählige „Gespräche mit Ehemaligen″ führen. Als besonders positiv hob Müller hervor, dass das von der SRG finanzierte Projekt in völlig unabhängiger wissenschaftlicher Arbeit der Autoren vonstatten gehen konnte.

Als besonderes „Bonbon″ konnten die Tagungsteilnehmer zum Abschluss eine CD-R mit VisualAudio-Extrakten einiger der von ihnen zuvor eingereichten Schallplatten mit nach Hause nehmen.

Der Vorsitzende der IASA-Ländergruppe schloss die Tagung mit einem großen Dank an alle Referenten und Teilnehmer für spannende und lebendige Beiträge, an die Teams der EIF um Ottar Johnsen und der FNS um Pio Pellizzari und ganz besonders an Julia Brügger, die als zweisprachige Organisatorin vor Ort die Fäden in der Hand hielt.

Die nächste Jahrestagung der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. wird auf Einladung des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main und des Deutschen Rundfunkarchivs in Wiesbaden am 3. und 4. November 2006 stattfinden. Neben einem praxisorientierten Workshop „Restaurierung historischer Tonträger″ sind Themenblöcke zur Situation der wissenschaftlichen Lautarchive und zum Spannungsverhältnis zwischen externen Nutzern und Rundfunkarchiven geplant. Auf der Tagesordnung der Mitgliederversammlung der Ländergruppe steht in diesem Jahr die Bekanntgabe der Ergebnisse der Vorstandswahlen für die Amtszeit 2006 bis 2009. Der Versand der Einladungen zur Jahrestagung erfolgt Ende Juli 2006.

Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V.