Home Navigationspfeil IASA-Tagungen Navigationspfeil Bericht 2015

Bericht über die IASA- und Medien-Archive-Austria-Jahrestagung 2015

13. – 14. November 2015 in Innsbruck

Programm

In diesem Jahr fand die Jahrestagung der International Association of Sound and Audiovisual Archives (IASA) gemeinsam mit der österreichischen Partnervereinigung Medien Archive Austria (MAA) im Museum Zeughaus des Tiroler Landesmuseums in Innsbruck statt. Schwergewichtiges Zentrum der im Mittelpunkt der Tagung stehenden bewegten Bilder und Töne war tatsächlich der Panzerkreuzer als Filmstar. Das Programm machte mir als regelmäßigem AIBM-Tagungsteilnehmer schon vorab klar, dass man bei dieser IASA/MAA-Tagung weit über den musikalischen Tellerrand hinaus schauen muss.

Nach der Begrüßung durch die jeweiligen Vorsitzenden der Vereinigungen Pio Pellizzari (IASA) und Gabriele Fröschl (MAA) sowie der Kustodin der Historischen Sammlungen des Museums im Zeughaus, Claudia Sporer-Heis, gab es zwei Beiträge unter der Überschrift: „Audiovisuelle Dokumente sammeln, digitalisieren, vermitteln“: Gabriele Fröschl berichtete über die „Archivierung von privaten Alltagsdokumentationen an der Österreichischen Mediathek“. Was machen Sie mit Ihren Videoaufnahmen vom Wien-Urlaub 1986?
Das Forschungsprojekt „Wiener Video Rekorder“ weiß Rat, denn es sucht nach privaten Videoaufnahmen von alltäglichen, öffentlichen oder privaten Ereignissen mit Bezug zu Wien, um dieses Material für die Zukunft zu bewahren. Auch das Nachbarland Schweiz kümmert sich um das filmische „Gedächtnis“ mit Memoriav, einem Verein, der sich die Erhaltung und die Erschließung des schweizerischen audiovisuellen Kulturgutes zur Aufgabe gemacht hat. Felix Rauh hat an Empfehlungen des Vereins zur Erhaltung von Videodokumenten mitgearbeitet, die er in seinem Vortrag „Memoriav – Empfehlungen. Digitalisierung von Film und Video“ erläuterte.

Franz Pavuza (Phonogrammarchiv Wien) bediente das Thema haargenau weiter, indem er über „Erfahrung bei der Digitalisierung von Film und Video“ sprach und darauf hinwies, dass auch der Videobereich mit einem heftigen Formatwandel zu kämpfen hat. Das führt zu einem Mangel an älterer Abspieltechnik, die zur Digitalisierung der „historischen“ Quellen notwendig ist.

Den zweiten Teil des Vormittags unter dem Titel „Historische Ereignisse audiovisuell darstellen“ leitete Michael Crone mit der These „Archives are no islands – Archives are islands“ ein. Gerda Lechleitner, Franz Pavuza (Phonogrammarchiv Wien) und Ricarda Kopal (Phonogrammarchiv Berlin) nahmen den Faden mit ihren Ausführungen zum Thema „Ausstellung – Outreach für (archivierte) AV-Medien“ auf und berichteten anhand von Beispielen über den konkreten Einsatz von audiovisuellen Medien bei Ausstellungen und museumspädagogischen Projekten unter Mitwirkung ihrer Einrichtungen.

Oliver Hanley und Adelheid Heftberger (Österreichisches Filmmuseum) führten anschließend durch ihr Projekt: „World Wide Wochenschau – Das Online-Videoprojekt ‚Österreich in Bild und Ton‘: Die Jahre 1935 bis 1937“, das die damaligen Weltereignisse aus der Sicht der staatlich produzierten Wochenschauserie ÖBuT erschließt und als Perspektive die Einbindung in Europeana und European Film Gateway anstrebt.

Thomas Ballhausen ging zeitlich noch weiter zurück und „belichtete“ „Das ‚filmische Gedenkjahr 2014‘ aus ‚österreichischer Perspektive‘“ mit österreichischen Filmquellen, die später auch durch die Nazis vereinnahmt wurden und aktuell in DVD-Editionen dokumentiert sind.

Der Nachmittag stand unter dem zum Tagungshöhepunkt hinführenden Motto „Filmprojekte“. Zuerst bewegte sich Niko Hofinger mit seinem Vortrag „Bewegtes Leben. Kulturerbe Film. Eine lernende Onlinedatenbank“ zwar, blieb aber gleichzeitig in Tirol, denn aus der Gastgeberregion kommen die ca. 12.000 Super 8-Filme digitalisiert in die Datenbank, wo man sie selbst verschlagworten kann, falls man Kenntnisse zum gezeigten Material besitzt.

Nun wurde es langsam spannend, denn Martin Reinhart schilderte das komplizierte Geschehen um „Die rekonstruierte deutsche Nadeltonfassung von Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin mit der Musik von Edmund Meisel“, deren Kino-Aufführung am Abend auch ein tagungsübergreifendes Ereignis war. Anhand dieses nur ca. 40-minütigen Films kann man Zeitgeschichte, Filmgeschichte, Musikgeschichte und die Entwicklung der Tonfilmtechnik hautnah und auf ergreifende Weise erleben. Mehrere Buchveröffentlichungen haben dieses Thema direkt oder indirekt zum Gegenstand und Reinhart hätte mit seinen Ausführungen den ganzen Abend füllen können.

Das von mir am Rand der Tagung besuchte Audioversum entpuppte sich als Experimentierschau einer Hörgerätefirma. Nach allerlei interessanten hochtechnisierten Testspielchen sowie Demonstrationen an futuristischen Geräten zum Thema Hören, Schall und Klang, kam ich zu der Erkenntnis, dass es noch zu früh für mich ist, mir eines der Hörgeräte-Implantate auszusuchen, geschweige denn einsetzen zu lassen.

Am nächsten Morgen waren die erschütternden Ereignisse in Paris für die Teilnehmer ein trauriger Anlass, zuerst der Opfer des Terrors zu gedenken. Danach begann die mit Spannung erwartete Mitgliederversammlung, die nach der vereinsüblichen Tagungsordnung zügig zum Hauptthema, dem Weiterbestehen der IASA-Gruppe, kam. Eine Entscheidung fiel nicht, stattdessen gab es einen Aufschub zur Lösung der Besetzungsschwierigkeiten im Vorstand. Weil sich keine Kandidaten für die Ämter des Präsidenten und des Sekretärs fanden, konnte kein neuer Vorstand gewählt werden. Die bisherigen Amtsinhaber und der Wahlvorstand erklärten sich deshalb bereit, vorläufig weiterzuarbeiten. Zunächst wird entsprechend der Satzung brieflich abgestimmt, ob sich der Verein auflösen soll. Verhaltener Optimismus zum Weiterbestehen war aber trotzdem auszumachen.

Nichtsdestotrotz ging das Tagungsprogramm mit „Beiträgen aus der Gesellschaft für Historische Tonträger (GHT), Wien“ weiter. Pekka Gronov (Helsinki) erklärte „Das Lindström-Projekt der GHT“. Die Lindström-A.G. war die größte Schallplattenfirma von ca. 1920 bis 1930 mit weltweiten Aktivitäten und wurde 1931 ein Teil der Firma EMI. Von der GHT wurde 2008 ein Projekt zur Erforschung der Geschichte der Firma Lindström initiiert, das schon eine ganze Reihe von Veröffentlichungen aufweisen kann.

Dass Musik keine Grenzen kennt, wurde mit dem Beitrag von Claus Peter Gallenmiller (Durach) zum Thema „Die Schallplatten des Club Teutonia, Istanbul – ein neues internationales Kooperationsprojekt der GHT“ deutlich. Dieser 1847 gegründete Club sammelte im Rahmen seiner Bemühungen um ein geselliges Leben der Deutschen in Istanbul und der Pflege des deutschen Liedgutes u. a. etwa 1.000 Schallplatten. Die Aufarbeitung des historischen Archivs soll die deutschen Kultur-Aktivitäten dieser Zeit erforschen, die eine Grundlage in den wachsenden deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen hatten.

Claus Peter Gallenmiller blieb gleich für seinen nächsten Beitrag „Die ‚GHT Technical Expert Group‘ als Forum zur Erarbeitung technischer Grundlagen rund um die Schellackplatte“ am Pult. In der Archäologie der historischen Tonträger erfordern die Besonderheiten der akustischen und elektrischen Schallplattentechnik mit 78 RPM (Umdrehungen pro Minute), ihre Aufnahmetechnik und Restaurierung bis zurück zur Wachstechnik eine entsprechende Aufmerksamkeit, die nun gebündelt werden soll.

 Wie bei den IASA-Tagungen üblich, gab es am Nachmittag des zweiten Tages ein von Detlef Humbert moderiertes „Offenes Forum“ mit drei Beiträgen. Zuerst stellte Margret Plank, Leiterin des Kompetenzzentrums für nicht-textuelle Materialien (KNM) der Technischen Informationsbibliothek Hannover (TIB) ihr „TIB AV-Portal für die Wissenschaft“ vor. Diese webbasierte Plattform für wissenschaftliche Videos aus Technik, Architektur, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik stellt frei zugänglich Informationen verschiedenster Art, wie z. B. Vorträge, Filme oder Modelle, für Forschung und Lehre bereit und verbindet dies mit Serviceleistungen zur Erschließung (Metadaten, semantische Suche, Videoanalysen u. a.).

Der Vortrag „Der Nachlass von Werner Voss, einem Hamburger Rock’n Roll Experten“ von Ulrich Duve (Klaus-Kuhnke-Archiv für Populäre Musik) fiel aus. So folgte Anna Bohn (Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Cinemathek), die über den „Zugang zu Filmen in Bibliotheken“ sprach, womit wir wieder beim Thema waren. Eine passende Grundlage dazu war ihr umfassendes zweibändiges Werk Denkmal Film. Auch hier gab es am Panzerkreuzer kein Vorbeikommen, bevor die älteren Formate (VHS, Super 8), die aktuellen Medien (DVD, Blu Ray Disc) und die nichtphysischen Verbreitungsmöglichkeiten (Download, Streaming) in Bezug zum Bibliothekseinsatz (Bestandsaufbau, Katalogisierung, Ausleihe) gesetzt wurden und ein Blick auf zukünftige Auswahlmöglichkeiten (Mainstream vs. Independent) geworfen wurde.

Neues aus dem WWW vermeldete Olaf Kosinsky (1. Vorsitzender von Wiki of Music e. V.) mit der „Vorstellung des Projekts: Wiki of Music“. Dort kann man nach musikalischen Werken, Personen und Begriffen unter den Kategorien „Musikschule“, „Instrument“, „Interpreten“, „Stilrichtung“ oder „Epoche“ recherchieren. Die Vielzahl der Möglichkeiten reicht bis zur Bearbeitung von Noten.

Im wahrsten Sinn des Wortes abgerundet wurde die Vortragsreihe wieder mit der Schallplatte, dieses Mal aber nicht mit der Schellack-, sondern mit der Vinyl-Schallplatte. Jochen Rupp (Deutsche Nationalbibliothek) versah seinen Bericht „Der Boom der Vinylschallplatte (auch unter dem Aspekt der Gaumenfreude)“ sogar mit einem essbaren Anschauungsbeispiel aus Schokolade. Seit 2007 wächst die Schar der Liebhaber der nichtessbaren LP, nimmt die Zahl der Beiträge zur LP-Renaissance in den Medien zu und steigern die Buch-Verlage und Musik-Labels ihre Titelzahlen auf, mit und über Vinyl. Zusätzlich wird das Thema Vinyl durch wiedererstandene LP-Charts befeuert, für die die Platten aber erst einmal gepresst werden müssen. Rund um die Platte dreht sich folglich die Palette der Hardware vom Presswerk über die LP-Waschmaschine bis zum optischen Abtastsystem. Sogar abgenutztes Vinyl existiert als Handtasche, Visitenkarte, Schlüsselanhänger oder Keksschale weiter.

Zum Ende der Tagung fanden sich Gabriele Fröschl, Pio Pellizzari, Margret Plank und Christiane Hofer (GHT) zu einem Panel ein, um mit Kurt Degeller (Memoriav) ihre Erfahrungen zum Thema „Nationale und internationale Netzwerke für das audiovisuelle Kulturgut“ auszutauschen. Die Statements enthielten Bewertungen, die durch die spezifischen Merkmale ihrer Herkunftseinrichtungen gekennzeichnet waren und sowohl positiv als auch negativ formuliert wurden.

Das Schlusswort mit Abspann kam von Pio Pellizzari. Das Schlusslied „Innsbruck, ich muss dich lassen“ erklang aber nicht, auch wenn man Innsbruck dank der österreichischen Gastfreundschaft, die sich nicht nur auf die geistige Zunahme beschränkte, gern wieder einmal „lassen“ würde. Für die Spezialisten der Musikinformation wird es bestimmt bald einen Grund dafür geben, denn eine Pressemeldung berichtet, dass 2018 das Innsbrucker „Haus der Musik“ mit Musikbibliothek, Konzertsaal, Musikschule und Theater in den Probebetrieb gehen soll.

Stefan Domes