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Bericht über die IASA-Jahrestagung 1999

05. bis 07. November 1999 in Köln

Programm

Fast 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung des Vorstands der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V. zur Jahrestagung nach Köln. Die Deutsche Welle und der Westdeutsche Rundfunk waren unsere gemeinsamen Gastgeber, die sich durch eine professionelle Durchführung und großzügiges Sponsoring der Tagung auszeichneten. Begleitet wurde die Veranstaltung durch eine eindrucksvolle Tefifon-Ausstellung der Fördergesellschaft Rundfunk- und Tonbandmuseum Köln e. V., deren Schätze allen an der Geschichte der Schallaufzeichnung und -wiedergabe Interessierten kurzweiligen Anschauungsunterricht und Gesprächsstoff lieferte.
Nach Führungen durch Sendestudios und Schallarchive der Deutschen Welle und des Westdeutschen Rundfunks begrüßte zunächst Joachim Lenz, Chefredakteur des Deutschen Programms der DW, die Teilnehmer und betonte mit Blick auf die Globalität des Themas Digitalisierung die angesichts knapper Kassen immer wichtiger werdende Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Kurt Deggeller als Vorsitzender der IASA-Ländergruppe bedankte sich bei den Gastgebern für den freundlichen Empfang und schlug den Bogen über persönliche Erinnerungen an seine frühere berufliche Beschäftigung mit Alter Musik und die enge Verbindung zur Schallplattenproduktion der Kölner EMI hin zur ersten eigenen Tagung der IASA-Ländergruppe im Oktober 1991 bei der Deutschen Welle in Köln.
Die Grußadresse des neugewählten Präsidenten der internationalen IASA, Crispin Jewitt, übermittelte deren Generalsekretär Albrecht Häfner. Jewitt lobte die aktive Rolle der Ländergruppe innerhalb der IASA und gab der Hoffnung Ausdruck, während seiner Amtszeit einmal an einer unserer Tagungen teilnehmen zu können.

Den ersten Themenschwerpunkt „Vom analogen zum digitalen Hörfunkarchiv” eröffnete Hans Gilles, Geschäftsführer der Westdeutschen Programmentwicklungsgesellschaft mbH (WPEG). Diese Firma wurde als Digitalisierungszentrum des WDR für alle Arten von Medien mit dem Ziel gegründet, das in den Archiven befindliche Programmvermögen binnen 10 Jahren auf digitalen Trägern zu sichern. Mittelfristig ist beabsichtigt, diese Dienstleistungen auch für andere Auftraggeber anzubieten. Hinzu kommen weitere Tätigkeitsfelder wie Sendungskopien für Zuschauer, Untertitelungen für Hörgeschädigte und der Aufbau einer Rechte-Datenbank für das Fernseharchiv des WDR.
Siegbert Herla vom Institut für Rundfunktechnik (IRT) stellte die theoretischen Grundlagen für die Entwicklung der digitalen Einspiel- und Restaurationsstation „QUADRIGA” vor. Grundgedanke der Einspielung in ein digitales „Online-Archiv” ist die effektivere Nutzbarmachung von Audioinhalten, wobei die Gefahren des „direkten menschlichen Zugriffs” auf den Tonträger wegfallen und eine automatische Qualitätsüberwachung gegeben ist. Als digitales Datenformat wurde hierzu auf der Basis des Microsoft-RIFF-Formats von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) das Broadcast Wave Format File (BWF) entwickelt, dessen Audiodaten mit rundfunkspezifischen beschreibenden Daten angereichert werden.
Anschließend beschrieb Jörg Houpert von Houpert Digital Audio (HDA) die Umsetzung der Forschungsarbeit von EBU und IRT in eine funktionierende Workstation und führte eindrucksvoll die Einspielung am praktischen Beispiel eines Analogbands mit einer großen Zahl unterschiedlicher Fehler vor, die vom QUADRIGA-System erkannt und korrigiert wurden.
Felix Kresing-Wulf, Holger Richardt und Andreas Zemke stellten zum Abschluss des ersten Tages die Entwicklung des Schallarchivs der Deutschen Welle von 1990 bis heute dar und zeigten einen typischen Arbeitsablauf im digitalen Audiosystem von der Recherche nach den Referenzdaten eines Archivtonträgers in der Archivdatenbank „ASIS” über die regelwerksgerechte Anpassung des Datensatzes für das zu erstellende Audiofile bis zur überwachten Einspielung in den Audiomassenspeicher.

Auf die alljährliche Mitgliederversammlung folgte als Schwerpunkt des Samstags der Themenkomplex Discographie und Firmengeschichte(n), dessen ersten Teil Kurt Deggeller mit einem Referat über grundsätzliche Fragen des Projekts „Firmen-Discographie historischer Tonträger (FDHT)” der Ländergruppe eröffnete. Dieses Projekt sieht die arbeitsteilige, individuelle Erfassung und zentrale Verwaltung aller Daten über die im deutschsprachigen Raum veröffentlichten Tonträger der Schellack-Ära vor. In Analogie zum Begriff „Mehrwert” erzeuge die Verwirklichung eines solchen Vorhabens „Mehrwissen”.
Pio Pellizzari, Direktor der Schweizerischen Landesphonothek in Lugano, präsentierte als denkbares Modell für die zentrale Verwaltung der FDHT-Daten „FN-Base”, die speziell auf die Bedürfnisse der Tonträgererfassung zugeschnittene Datenbank der Landesphonothek. Bei enormer Stabilität biete diese Datenbank eine große Offenheit und Flexibilität. In der Testphase befindet sich derzeit die Weiterentwicklung „INSIDECH” mit noch komfortableren Suchfunktionen (z. B. Mehrsprachigkeit, phonetische Annäherung) und interessanten Optionen für den Datenaustausch. Eine lebhafte Diskussion im Plenum beendete den Vormittag.
Im von Gisela Süle moderierten zweiten Teil am Nachmittag erfuhren die Anwesenden viel Interessantes aus der Tätigkeit des sich selbst als „Musik-Archäologen” bezeichnenden WDR-Redakteurs Dirk Schortemeier. Dieser gab kurzweilige Einblicke in ein Vierteljahrhundert seiner beliebten Sendung Schellack-Schätzchen, die einmal ein Radiohörer in einer Umfrage als „... ein exotisches Hörvergnügen und so schön leise ...” beschrieb. Die starke Bindung zwischen Redaktion und Hörern, zum Teil selbst Schellacksammler und sogar Autoren für die Sendung, schlug sich stets in großen Mengen Hörerpost mit fachkundigen Anmerkungen, Schenkungen von Schellackplatten und erbosten Reaktionen auf den Ausfall der Sendung bei Programmänderungen nieder.
Christoph Zimmermann, Musikdokumentar und Autor beim WDR, schlug mit seinem abwechslungsreichen Vortrag über Franz Marszalek „... ein Kapitel Rundfunkgeschichte ...” auf, das mit zahlreichen Musikbeispielen aus dem Schaffen des Kapellmeisters gewürzt war. Unter Marszalek entstanden seit Anfang der dreißiger Jahre in Berlin und ab 1949 beim NWDR und WDR zahllose Aufnahmen insbesondere auf den Gebieten der leichten Klassik und gehobenen Unterhaltungsmusik.
Viel zu schnell vorbei war nach Ansicht aller Zuhörer die spannende Dreiviertelstunde, die Kurt Deggeller für das anschließende Gespräch mit Gerd Berg zur Verfügung stand. Der charismatische Schallplattenproduzent wurde zum eigenen Werdegang und zur jüngeren Geschichte der EMI befragt, für die er 35 Jahre lang Schallplatten machte. Von der Musik des 12. Jahrhunderts bis zu Karl Amadeus Hartmann als letzter Produktion vor seiner Pensionierung 1992 reicht das Lebenswerk des Mannes, der mit der Begründung der EMI-Reihe „Reflexe - Stationen europäischer Musik” eine neue Art der Präsentation Alter Musik kreierte.
Im letzten Vortrag des Tages widmete sich Eva Schütz, Archivarin der KölnMusik GmbH, der Firmengeschichte dieses 1985 gegründeten kommunalen Unternehmens zur Bewirtschaftung der Kölner Philharmonie. Ziel der KölnMusik ist, in der Philharmonie als Veranstalter selbst und als Koordinator für andere (WDR, DW, Deutschlandfunk, Gürzenich-Orchester, Neues Rheinisches Kammerorchester uvm.) ein attraktives und umfangreiches Konzertprogramm anzubieten. Trotz des in der Unternehmensphilosophie weit oben stehenden Gedankens des „... nicht reproduzierbaren Konzerterlebnisses ...” wurden und werden alle Konzertereignisse von historischem Rang mitgeschnitten und im Schallarchiv des Hauses aufbewahrt. So befinden sich darunter bisher 74 Uraufführungen von Werken Neuer Musik.
Wie im vorigen Jahr bildete ein Offenes Forum am Sonntag den Abschluss der Tagung. Petra Witting-Nöthen, Leiterin des Historischen Archivs des WDR, vermittelte ein scheinbar trockenes Thema der Technikgeschichte in einem unterhaltsamen Vortrag über die Einführung der Stereofonie im Rundfunk. Neben tiefen Einblicken in die Akten des langwierigen Prozesses der Entscheidungsfindung wurden die Tagungsteilnehmer Ohrenzeugen einer Stereoversuchssendung des WDR aus dem Jahr 1964, deren gutgemeinte Ratschläge an die damaligen Radiohörer für großes Vergnügen im Plenum des Jahres 1999 sorgten.
Dem heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Tefifon widmete sich das Referat von Christian Läpple vom Schallarchiv des WDR. Von der Kölner Firma Tefi-Apparatebau wurde 1949 das "Schallband" entwickelt, ein thermoplastisches Kunststoffband, auf dem sich die Modulation als eine Art „aufgewickelte Schallplattenrille” befindet. Wie bei der Schellackplatte wurden die Schallwellen mechanisch aufgezeichnet und wiedergegeben, indem das Band mit einer ununterbrochenen Spieldauer von bis zu vier Stunden an der Abtastnadel des Tefifons vorbeilief. Fehlende Finanzkraft des Unternehmens und mangelnde Kreativität hinsichtlich der Verkaufsstrategie waren die Hauptursachen für den letztlichen geschäftlichen Mißerfolg dieses Verfahrens.
Im letzten Vortrag dieser Tagung präsentierte IASA-Mitglied Helmut Otto als einer der bedeutendsten Discographen auf dem Gebiet der lateinamerikanischen Musik gescannte Musikkataloge in Wort und Bild. Diese vollständig als JPG-Files vorliegenden Informationen begleiten in Ottos „MusikInformationsSystem” Datenbankeinträge zu über 40.000 Langspielplatten und Compact Discs.

In seinem Schlußwort dankte Kurt Deggeller allen Anwesenden für die lebendige Teilnahme und rege Diskussionen, der Fördergesellschaft Rundfunk- und Tonbandmuseum Köln e. V. für die großartige Ausstellung und dem örtlichen Organisationskomitee für den rundum gelungenen Tagungsverlauf. Als besonders positiv vermerkte Deggeller die „Dualität der Programminhalte zwischen Technik und Human Touch” und gab der Hoffnung auf eine ebenso erfolgreiche gemeinsame Tagung mit der deutschen AIBM-Gruppe vom 20. bis 24. September 2000 in Leipzig Ausdruck.
Darüber hinaus erlaubt sich der Sekretär der Ländergruppe und Verfasser dieses Berichts, sich für die Entlastung durch eine vielfältige Unterstützung und hervorragende Vorbereitung der Tagung bei den engagierten Teams von Frau Dr. Gisela Süle und Herrn Felix Kresing-Wulf besonders zu bedanken.

Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz e. V.