Bericht über die IASA-Jahrestagung 1997
31. Oktober bis 2. November 1997 in Basel
Die Jahrestagung der Ländergruppe fand 1997 auf Einladung des Schweizer Radios DRS im Studio Basel statt. Über 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, davon etwa die Hälfte aus der Schweiz, erlebten eine abwechslungsreiche Tagung mit interessanten Referaten und zahlreichen Präsentationen privater und institutioneller Tonträgersammlungen, insbesondere unserer Schweizer Mitglieder.
In seinen Begrüßungsworten hob Andreas Blum, Radiodirektor der SRG und großzügiger Sponsor dieser Tagung, die Bedeutung der Überlieferung des „kulturellen Gedächtnisses” durch Archivierung und Dokumentation hervor. Unverzichtbar sei hierbei die Sensibilisierung von Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern für diese Aufgabe (in der Schweiz beispielhaft durch den noch jungen Verein Memoriav). Martin Plattner, Leiter Dokumentation und Archive des Schweizer Radio DRS und zugleich Studiochef in Basel, gab einen historischen Überblick von den Anfängen des Landesstudios Beromünster bis zum modernen Studio Basel mit seinem Programmschwerpunkt Kultur auf DRS 2.
Einen ersten Themenschwerpunkt bildete die Benutzerfreundlichkeit in institutionellen Archiven. Ulf Scharlau, SDR Stuttgart, verband seinen Bericht über die Arbeitsgruppensitzung der IASA-Ländergruppe mit der AG Tondokumente der Fachgruppe 7 (Medienarchivare und -dokumentare) im Verein deutscher Archivare auf der Frühjahrstagung 1997 in Berlin mit persönlichen Beobachtungen aus seiner 25-jährigen Tätigkeit in der Rundfunkdokumentation. Nicht das Tonträgersammeln nach Art eines Museums, sondern die gesicherte Bereitstellung von Inhalten und begleitenden Informationen sei der Kernpunkt der Aufgabenstellung. Als Beispiel für das Fortschreiten der Anforderungen an den Bereich Dokumentation und Archive im modernen Funkhaus nannte er die Akzeptanz und Umsetzung der Digitaltechnik (etwa den Transfer historisch relevanter Bestände auf zukunftssichere Formate) — nicht als „Vernichtung von Kulturgut”, sondern gerade im Sinne einer dauerhaften Erhaltung des kulturellen Erbes und seiner Verfügbarkeit. Benutzerorientierung müsse daher mit der Einsicht einhergehen, daß „... alle unsere Dokumente aktuelle Dokumente sind”, auch solche, die nach Jahren ohne Zugriff plötzlich neue Bedeutung erlangten und von den Programmmachern benötigt würden (z. B. durch den Tod eines namhaften Schauspielers oder die Nachfrage nach den Tondokumenten unseres Jahrhunderts im Rückblick des Jahres 2000).
Das Freitagsprogramm rundete eine Führung durch die eindrucksvollen Räume der Paul-Sacher-Stiftung mit ihrem umfangreichen Bestand an Originalhandschriften der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts ab. Paul Sacher als Auftraggeber und Dirigent der Uraufführungen vieler der hier liegenden Kompositionen überführte seine Sammlung in eine Stiftung, die seit nunmehr 25 Jahren eine der wichtigsten Stätten der wissenschaftlichen Erforschung zeitgenössischer Musik darstellt.
Am Samstagvormittag stellte als erste Schweizer Referentin Gabriela Duci, Radio DRS Basel, die Titeldatei der SRG-Musikdatenbank Phono vor. Diese Titeldatei entstand aus der ursprünglichen Idee, ein Hilfsmittel zur Verbesserung der Datenkonsistenz durch verbindliche Ansetzungsregeln für Werktitel zu schaffen. Inzwischen hat sich die Titeldatei zu einem umfangreichen und vielseitigen Referenz-, Katalogisierungs-, Korrektur- und Steuerungsinstrument bei der EDV-gestützten E-Musik-Dokumentation entwickelt.
Das Schwerpunktthema des Vormittags lautete „100 Jahre Schellackplatte” und vereinte drei sehr unterschiedliche Aspekte der Bewahrung und Überlieferung von Tonträgern bzw. ihrer Inhalte. Zunächst widmete sich Rainer E. Lotz, Bonn, dem vielschichtigen Problem der Bewahrung und Bewertung nachgelassener Tonträgersammlungen. Im Mittelpunkt der Ausführungen stand die Wertfeststellung einer Sammlung nach Art und Bedeutung der Tonträger und ihrem Erhaltungszustand, wobei Lotz besonders auf die Wichtigkeit der Bewahrung einer Sammlung im ganzen und mit allen ihren Erschließungsmitteln hinwies.
Andreas Matzke, SDR Stuttgart, illustrierte den Schritt am Ende des Weges vom analogen über den digitalen Tonträger hin zum ewigen Datensatz. Im modernen „audiomäßig vernetzten Funkhaus” kann auf der Basis eines digitalen Langzeitarchivs sehr schnell, beliebig häufig, verschleiß- und verlustfrei auf jedes Audiofile zugegriffen werden. Automatische Qualitätsüberwachungs- und Kopiersysteme gewährleisten die Bewahrung und dauerhafte Verfügbarkeit des Audioarchivs. Seine Zweifel an der Langlebigkeit des ewigen Datensatzes artikulierte im folgenden Beitrag Frank Rainer Huck, SR Saarbrücken. Als Risikofaktoren benannte er die Obsoleszenz der Systeme, den Verlust der Abspielbarkeit durch den möglichen Wegfall von Formaten bzw. Geräten (wie schon heute auf den Gebieten Video- oder Studiotonband). Ein besonderes Augenmerk sei „... auf die Bedeutung der interpretierenden Programme zum jeweiligen Datenstrom ...″ zu legen.
Die traditionsgemäß in die Jahrestagung eingebettete Mitgliederversammlung sah als Höhepunkt die Feststellung des Ergebnisses der Wahlen zum Vorstand der Ländergruppe für die Amtszeit 1997 bis 2000. Als interimistischen Vorsitzenden wählte die Mitgliederversammlung - auf seinen eigenen Wunsch hin nur für ein Jahr – Kurt Deggeller, Memoriav Bern. Weiter gehören dem Vorstand bis zum Jahr 2000 an: Ulrich Duve, Klaus-Kuhnke-Archiv für populäre Musik Bremen, Markus Erni, Schweizer Radio DRS Basel und Rainer E. Lotz, Bonn, als stellvertretende Vorsitzende, Klemens Helmholz, SWF Baden-Baden, als Schatzmeister und Detlef Humbert, SDR Stuttgart, als Sekretär. Der uneingeschränkte Dank für ihre geleistete Arbeit wurde von der Mitgliederversammlung den aus dem Vorstand ausgeschiedenen Kollegen Anke Leenings, DRA Frankfurt am Main, Hans-Rudolf Dürrenmatt, Schweizer Radio DRS Bern und Frank Rainer Huck, SR Saarbrücken, zuteil. Die nächste Jahrestagung wird vom 16. bis 18. Oktober 1998 auf Einladung des Schiller-Nationalmuseums/Deutsches Literaturarchiv in Marbach am Neckar stattfinden. Für 1999 lud der Präsident der AIBM-Gruppe Bundesrepublik Deutschland die IASA-Ländergruppe zu einer gemeinsamen Tagung vom 22. bis 24. September 1999 nach Dresden ein.
Der weitere Verlauf der Basler Tagung gehörte den Präsentationen unserer Schweizer Mitglieder. Christoph Walton, Zentralbibliothek Zürich, stellte in seiner gewohnt humorvollen Art die Sammlungen und Arbeit seiner Musikabteilung vor. Rudolf Müller, Radio DRS Zürich, referierte über das Projekt Mésures d'urgence, in dem etwa 18.000 Direktschnittplatten aus der Produktion des Schweizer Rundfunks von 1934 bis 1956 dokumentiert, restauriert und auf digitalen Trägern gesichert werden.
Den Sonntag eröffnete Robert Masopust, Basel, mit eindrucksvollen Tonbeispielen aus seiner Raritätensammlung, bei dieser Gelegenheit patriotischen österreichischen Aufnahmen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Otto Flückiger, jazzdoc Zeiningen, berichtete über Zustand und Zukunftsaussichten des bisherigen Schweizer Jazz-Museums, dessen Mitarbeiter die Arbeit ehrenamtlich und aus eigenem Antrieb fortführen. Schließlich gewährte Hans Peter Woessner, Zürich, ebenso spannende wie amüsante Einblicke in die Detektivarbeit eines „besessenen Sammlers und Diskographen”, der zur Verifizierung diskographischer Angaben häufig auf ungewöhnliches Quellenmaterial zugreifen muß (etwa in der Tagespresse um die Jahrhundertwende veröffentlichte Beherbergungslisten, um die Anwesenheit bestimmter Künstler und Techniker bei einer Schellackplattenaufnahme festzustellen).
Kurt Deggeller schloß die Tagung mit einem Dank an alle Beteiligten, besonders die rührigen Gastgeber des Schweizer Radio DRS und stellte fest, daß „... eine Tasse Kaffee manchmal ein besserer Informationsvermittler als das Internet ...” sein könne.
Detlef Humbert
Sekretär der IASA-Ländergruppe Deutschland/Deutschschweiz